100 Jahre Salzburger Festspiele

Corona schwebte über Monate hinweg wie ein Damoklesschwert ausgerechnet über der Austragung des großen Jubiläumsfestivals in Salzburg. Am 1. August kann dennoch eine verkürzte Ausgabe des Klassikers, die sich bis Ende des Monats erstreckt, beginnen. Es war nicht das erste Mal, dass man sich in der Mozartstadt aus der Not heraus erfinderisch zeigen musste: Schon vor exakt 100 Jahren – in der Festspiel-Geburtsstunde – musste man in vielerlei Hinsicht improvisieren. Heuer schließt sich somit der Kreis einer langen, turbulenten Geschichte.

Das Große Festspielhaus in Salzburg, quasi die „Hauptzentrale“ des Kultfestivals © APA/Gindl

Wenn es für den Spruch „Not macht erfinderisch“ noch eines Beweises bedurft hätte, dann haben ihn die Salzburger Festspiele bei ihrer Entstehung vor 100 Jahren erbracht.

In ihrer Geburtsstunde am 22. August 1920 wurde ein Stück aufgeführt, das ursprünglich genau so wenig geplant war wie der Aufführungsort: der „Jedermann“ (bekanntlich in der Regie von Max Reinhardt) auf dem Domplatz, inzwischen Tradition und Kult geworden.

Mit wenigen Ausnahmen – so unter der Naziherrschaft zwischen 1938 und 45, den Nazis waren die Salzburger Festspiele aus vielerlei Hinsicht ein Dorn im Auge – wird der „Jedermann“ seither jährlich in Salzburg gegeben.

Als Auftakt der Festspiele hatte Festival-Mitbegründer Reinhardt eigentlich ja das „Halleiner Weihnachtsspiel“ in der Franziskanerkirche im Winter 1919 vorgesehen, jedoch konnte so kurz nach dem Krieg die Verpflegung der Künstler nicht gewährleistet werden. Also wurde die Geburtsstunde in die zweite Augusthälfte 1920 verlegt.

„Jedermann“ kam erst relativ spät ins Spiel

Und auch hier kam der „Jedermann“ von Hugo von Hofmannsthal erst spät ins Spiel, weil ein anderes Werk nicht rechtzeitig fertig wurde. Die Geschichtsbücher nennen heute unterschiedliche Angaben, um welches Werk es sich dabei gehandelt hatte. Auch beim Aufführungsort war Improvisation angesagt: Vorgesehen war die offene Reitschule (Felsenreitschule) der früheren Fürsterzbischöfe, doch das Material für ein Bühnenbild war nicht aufzutreiben.

Der „Jedermann“, hier im Jahr 2011, ist auch weiterhin das große Zugpferd und Aushängeschild der Salzburger Festspiele. ©APA/Gindl

Sehr kurzfristig wurde daher der Domplatz zum Thema: Nur einen Monat vor Beginn der Vorstellungen ersuchte Reinhardt den Erzbischof, das Geviert vor dem Dom zu bespielen und „die Glocken, Orgelspiel und die Domfassade dramaturgisch“ einzubinden. In Berlin noch fast durchgefallen, schlug das Läuterungsspiel vor dieser Kulisse von Anfang an voll ein. Das Zusammenwirken aus Wetter, Kirchenglocken, Domorgel, Rufen von Berg, Friedhof und Turm mit dem Schauspiel wurde ein Riesenerfolg.

Und eines galt von Anbeginn: Die Bühne gehört Publikumslieblingen. Die ersten hießen Alexander Moissi als Jedermann und seine Frau Johanna Terwin als Buhlschaft – beide Superstars ihrer Zeit. Der heute noch bestehende Hype um diese Rollen ist also Teil der Salzburger Festspiele von ihrer Geburtsstunde an.

Nach insgesamt sechs Vorstellungen waren die ersten Festspiele dann auch schon wieder zu Ende. Auch wirtschaftlich war das erste Jahr erfolgreich, wobei der gesamte Gewinn von 153.654 Kronen (entspricht etwa 15.670 Euro) den Salzburger Kriegsinvaliden, -witwen und -waisen, Heimkehrern und der US-amerikanischen Kinderhilfsaktion zugutekam.

Eine bedeutende Weichenstellung für die Zukunft der Festspiele erfolgte bereits am Vortag der „Jedermann“- Premiere, also am 21. August: Die Festspielhausgemeinde hielt im Großen Saal der Stiftung Mozarteum eine Generalversammlung ab, bei der das eigene Programm, vor allem der Bau eines Festspielhauses, Thema war. Dieses Programm wurde dabei zum kulturellen Schwerpunkt nicht nur der Stadt, sondern auch des Landes Salzburg und der neuen Republik Österreich erklärt.

Dreigestirn Reinhardt, Strauss und Hofmannsthal

Dass der Stern der Salzburger Festspiele nicht nur aufging, sondern sich zum Fixstern am Kulturhimmel entwickelte, ist vor allem dem Dreigestirn Max Reinhardt, Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zu verdanken. Die prägende Führungsfigur der ersten Festspieljahre war zweifelsohne Max Reinhardt. Nicht zuletzt war er es, der 1917 mit einer Denkschrift die von verschiedener Seite seit längerem ventilierte Festspielidee für Salzburg endgültig auf Schiene brachte.

Festspiele sollten in seinen Augen nicht nur ein „Luxusmittel für die Reichen und Saturierten, sondern ein Lebensmittel für die Bedürftigen“ sein. Ihm schwebten Festspiele vor, bei denen Aufführungen in antiker Tradition einmalig blieben. Dass die Wahl hierfür auf die Kleinstadt Salzburg anstelle einer großen Metropole fiel, war kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung für Festspiele abseits des Trubels und Rauschens der Großstadt.

Reinhardts internationale Kontakte zu Künstlern und einflussreichem Publikum befeuerten die Positionierung der Festspiele. Und er leitete deren Schauspiel 18 Jahre lang – bevor der jüdischstämmige Theatermacher 1937 bei Goethes „Faust“ letztmals Regie in Salzburg führte und im gleichen Jahr in die USA emigrierte. Hofmannsthals eng verbundener Opernpartner Richard Strauss war schließlich der dritte zentrale Mitstreiter des Gründungstrios.

Nachdem 1921 Konzerte mit Salzburger Lokalbesetzung auf den Spielplan gehoben wurden, griff der damalige Wiener Hofoperndirektor durch. Er engagierte erstmals die Wiener Philharmoniker und dirigierte 1922 mit Mozarts „Don Giovanni“ die erste Opernaufführung der Festspiele. Viele mochten bis heute folgen.

Börsencrash, Hitler und Corona als große Krisen

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Salzburger Festspiele haben seit 1920 einiges gesehen. Doch wie ein wuchtiger Dampfer hat sich das Festival fast nie vom Kurs abbringen lassen. Die drohende coronabedingte Absage der Jubiläumsspiele 2020 wäre erst der dritte Ausfall in der Festspielgeschichte gewesen.

„Jedermann“ bei den Festspielen im August 1946 auf dem Domplatz ©APA/dpa

Die Weltwirtschaftskrise, die ihren Höhepunkt im Börsencrash 1929 hatte, zwang das Festival im Jahr 1924 erstmalig in die Knie. 1944 kam es zur zweiten Absage in der Geschichte der Festspiele: Nach dem gescheiterten Bombenattentat auf Adolf Hitler sagte Propagandaminister Joseph Goebbels den Festivalreigen ebenso komplett ab.

Nach dem Krieg war dann kein Name so prägend für Salzburg wie der von Herbert von Karajan. Über drei Jahrzehnte drückte der Genius mit divenhafter Seite in autokratischer Manier den Festspielen seinen Stempel auf und sorgte dafür, dass diese sich endgültig als Flaggschiff der Kulturszene etablierten.

Die Ära Karajans war dabei von massiver Expansion geprägt. 1960 eröffnete er mit dem „Rosenkavalier“ das von Clemens Holzmeister gestaltete Große Festspielhaus. 1967 gründete er die Osterfestspiele, die er bis zu seinem Tod 1989 leitete und denen sechs Jahre später noch die Pfingstkonzerte folgten – heute heißen sie Pfingstfestspiele.

Seit 2017 hat nun Markus Hinterhäuser die Intendanz der Festspiele inne. Mit Helga Rabl-Stadler haben die Festspiele seit 1995 ihre erste weibliche Festspielpräsidentin – sie bleibt nun auch im Jahr 2021 im Amt, dann soll aber endgültig Schluss sein.

Was Corona jetzt noch für (unangenehme) Überraschungen bereithält, wir wissen es nicht. Fakt ist: Die Festspiele, sie wurden und werden weiterhin von der Geschichte bewegt – und sie werden sich wohl auch weiter nicht vom Kurs abbringen lassen.

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