Kritik an Beschränkungen in Wohn- und Pflegeeinrichtungen

Oft werden sedierende Medikamente eingesetzt © APA/dpa/Jana Bauch

Die Bewohnervertretung Vertretungsnetz, die im Auftrag des Justizministeriums Freiheitsbeschränkungen an Menschen, die institutionell betreut oder gepflegt werden, überprüft, meldet einen Rekordanstieg an derartigen Maßnahmen. „Sowohl die Zahl der Betroffenen als auch die Zahl der Freiheitsbeschränkungen sind allein seit 2019 – dem Jahr vor der Pandemie – um über 30 Prozent angestiegen“, sagt Susanne Jaquemar, die Leiterin der Bewohnervertretung.

Beispiele seien etwa Bettseitenteile, versperrte Räume, Festhalten gegen körperlichen Widerstand, Gurte am Rollstuhl oder auch sedierende Medikamente. „Noch nie seit Inkrafttreten des Heimaufenthaltsgesetzes 2005 wurden uns so viele Freiheitsbeschränkungen gemeldet wie 2023“, wurde Jaquemar in einer Aussendung am Donnerstag zitiert. Insgesamt wurden demnach 92.496 bestehende Freiheitsbeschränkungen an 33.437 Personen verzeichnet. 57.606 neue Freiheitsbeschränkungen wurden neu gemeldet und von der Bewohnervertretung auf Zulässigkeit überprüft. Das Einsatzgebiet von Vertretungsnetz umfasst dabei ganz Österreich mit Ausnahme von Vorarlberg sowie Teilen von Niederösterreich und Salzburg, wo andere Erwachsenenschutzvereine tätig sind.

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Als besonders alarmierend wurde der erneut starke Anstieg von Freiheitsbeschränkungen in Alten- und Pflegeeinrichtungen bezeichnet, denn verglichen mit 2019 beträgt der Zuwachs 60 Prozent. So sei jeder vierte Heimbewohnende von mindestens einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme betroffen. 70 Prozent der Freiheitsbeschränkungen in Pflegeeinrichtungen erfolgen durch die Gabe von sedierenden Medikamenten.

Erstmals seit einigen Jahren wurden auch wieder mehr Beschränkungen im Bett verzeichnet – hier vor allem durch Bettseitenteile, welche ein hohes Verletzungsrisiko bergen, wenn versucht wird, sie zu überklettern. In vielen Einrichtungen sind daher schon lange Alternativen im Einsatz, welche die Mobilität weniger einschränken, z.B. Niederflurbetten. „Die Verwendung von durchgehenden Bettseitenteilen entspricht nicht dem Pflegestandard und bedeutet einen Rückschritt in der professionellen Pflege und Betreuung“, stellte Jaquemar fest.

Bei wiederkehrenden Überprüfungsbesuchen der Bewohnervertretung zeigt sich eine Negativspirale, die Patientinnen und Patienten würden regelrecht in die Immobilität gepflegt. Als Beispiel wurden Bettruhezeiten teilweise schon am späten Nachmittag, würden die Betroffenen dann Unruhe und Bewegungsdrang zeigen, gebe es dann allzu oft sedierende Medikamente. Gegen das so erhöhte Sturzrisiko würden die Menschen zusätzlich zu ihrem Schutz in den Sitzgelegenheiten mit Gurten fixiert oder im Bett mit Seitenteilen beschränkt werden. „Wir gehen davon aus, dass viele Freiheitsbeschränkungen unzulässig sind, weil sie aufgrund von Personalnot überhaupt erst gesetzt und Alternativen nicht ausreichend geprüft werden“, schilderte Jaquemar die besorgniserregende Entwicklung der vergangenen Jahre. Sie forderte „dringend bundesweit einheitliche Betreuungsstandards und – damit verbunden – eine Qualitätsoffensive für das Leben in Einrichtungen“ sowie entsprechende Ressourcen durch Länder und Einrichtungsträger.

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