Schusswaffen am Filmset: Prozess gegen Baldwin beunruhigt Hollywood

Waffenmeister orte „unnötige starke Überreaktion“

Alec Baldwin am Set von „Rust“ © APA/AFP/Santa Fe County Sheriff's Office

In einem Studio in Kalifornien üben Filmemacher eine Nahaufnahme mit einer Pistole – bis der Waffenmeister sie abrupt unterbricht. „Er richtet die Waffe direkt auf das Filmteam“, moniert der Experte Dutch Merrick. „Genau das ist am Set von ‚Rust‘ passiert.“ Beim Dreh dieses Westerns hatte Alec Baldwin im Oktober 2021 versehentlich eine Kamerafrau erschossen, heute, Dienstag, beginnt der Prozess gegen den Hollywood-Star wegen fahrlässiger Tötung.

Die Tragödie beim Dreh im US-Bundesstaat New Mexico erschütterte Hollywood. Damit sie sich nicht wiederholt, gibt Waffenmeister Merrick seither Schulungen zum Umgang mit Schusswaffen im Film – wie diese in Glendale in der Nähe von Los Angeles.

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Was bei „Rust“ passierte, „war ein Weckruf für mich“, sagt Virginia Brazier, eine der Teilnehmerinnen. Sie arbeitet als Produktionsleiterin und ist für die Einstellung von Filmcrews zuständig, also auch für Waffenmeister und Requisiteure. „Ich möchte wissen, welche Fragen ich den Leuten stellen muss, damit wir beim Dreh sicher sind.“

Auch Regieassistent Ryan Taylor verspricht sich von dem Kurs mehr Sicherheit am Set. „Viele der Crew-Mitglieder sind jetzt generell etwas nervöser“, hat Taylor beobachtet. Sie wollten die Waffen nun oft selbst inspizieren und ließen sich die Patronen vorher zeigen.

Baldwin hatte bei den Dreharbeiten zum Low-Budget-Western „Rust“ eine Pistole auf die Kamerafrau Halyna Hutchins gerichtet in der Annahme, sie enthalte nur Platzpatronen. Tatsächlich aber war die Munition scharf, tötete die Kamerafrau und verletzte Regisseur Joel Souza. Warum die Pistole scharf war, ist bis heute unklar. Scharfe Munition ist in den USA bei Filmdrehs verboten.

Waffenmeister Merrick macht das geringe Budget des Westerns für den tödlichen Vorfall mitverantwortlich. Das habe zu einer Reihe von Fehlern geführt, die in dem „Betriebsunfall“ gipfelten.

Er bringt den Kursteilnehmern bei, Platzpatronen zu erkennen. Und er vermittelt die drei „goldenen Regeln“ der Waffensicherheit: Die Waffe in eine sichere Richtung halten, den Finger erst dann auf den Abzug legen, wenn man bereit zum Schuss ist, und die Waffe immer so behandeln, als sei sie geladen. Die Teilnehmer müssen die Regeln laut wiederholen.

Nach dem Tod der Kamerafrau wurden vereinzelt Rufe laut nach einem generellen Verbot von Schusswaffen am Set. Doch Hollywood setzt auf weniger radikale Maßnahmen. Die Richtlinien für den Gebrauch von Schusswaffen bei Dreharbeiten wurden vergangenen Winter zum ersten Mal seit 20 Jahren überarbeitet. Unter anderem ist nun festgelegt, dass nur ein Waffenmeister einem Schauspieler eine Waffe aushändigen darf. Bei „Rust“ übergab der Staatsanwaltschaft zufolge ein Regieassistent Baldwin die Waffe.

In Kalifornien müssen ab kommenden Jahr steuerbegünstigte Produktionen auch einen Sicherheitsberater einstellen. Einige Filmproduzenten haben sich entschlossen, ganz auf echte Schusswaffen zu verzichten und verwenden nun Druckluftwaffen oder Gummipistolen.

Wie sehr Baldwins tödlicher Schuss die Branche verändert hat, lässt sich schwer beziffern. Angeblich werden deutlich weniger Waffen vermietet. Zu diesen Berichten wollte ein großer Requisitenhersteller auf Anfrage der Nachrichtenagentur AFP jedoch keine Stellungnahme abgeben.

„Es gab eine starke Überreaktion, die nicht nötig gewesen wäre“, sagt Merrick. Für den Waffenmeister mit drei Jahrzehnten Erfahrung sind echte Waffen – wenn sie sicher verwendet werden – unverzichtbar, denn nur sie vermittelten dem Publikum den Eindruck von „authentischer Action“.

Es sei zum Beispiel unmöglich für einen Schauspieler, den Rückstoß einer Pistole zu simulieren, wenn diese aus Gummi ist, sagt Merrick. Druckluftwaffen, die keine Metallkugeln abfeuern, vermittelten ein „falsches Gefühl der Sicherheit“, weil sie bei falscher Anwendung auch tödlich sein könnten.

Der Prozess gegen Baldwin werde das Misstrauen gegenüber Schusswaffen am Set noch verstärken, befürchtet der Waffenmeister. „Wenn er verurteilt wird, wird das eine seltsame Wirkung auf die Darsteller haben“, vermutet auch Kursteilnehmer Leilani Barrett, der oft in Polizeifilmen spielt. „Als Schauspieler denke ich an meinen Text, meine Rolle und die Anweisungen“, sagt Barrett. „Das Letzte, worüber ich mir Gedanken machen möchte, ist die Requisite, die ich benutze.“

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