Toxische Liebe im Industriekaff: „Malibu Orange“ von Ulrike Haidacher

Zweiter Roman der gebürtigen Grazerin widmet sich der Erosion einer Freundschaft

Es ist eine Art Déjà-vu: In Ulrike Haidachers Debütroman „Die Party“ war man 2021 gemeinsam mit der Ich-Erzählerin in einen stickigen Party-Keller abgetaucht, in dem sich der subkutane Frauenhass der Oberschicht entlud. Just auf einer Party beginnt nun auch der neue Roman der gebürtigen Grazerin, die vor wenigen Wochen einen Auszug aus „Malibu Orange“ (Leykam Verlag, 224 Seiten, 24,50 Euro),  das am 29. Juli erscheint, beim Bachmannpreis zum Besten gab. Auch diesmal im Fokus: Frauen und Beziehungsdynamiken, gewürzt mit scharfem Humor.

Verlorene Ära der Unbeschwertheit

Das süße Teenager-Getränk der Nullerjahre ist dabei Sinnbild für eine verlorene Ära, in der das nächtliche Fortgehen mit der allerbesten Freundin das Nonplusultra der Unbeschwertheit verkörpert hatte. Doch nun ist die junge Krankenpflegerin Anja nach einem Burn-out zwangsweise aus der großen Stadt in ihr obersteirisches Heimatdorf – ein „Industriekaff“ – zurückgekehrt und versucht dort anzuknüpfen, wo sie einst aufgehört hat. Doch ist ihr hier nach 15 Jahren der Abwesenheit alles fremd geworden, was Anja allerdings gleich beim bloßen Gedankengang selbst arrogant findet. Auch den Einladungen zu diversen Brunch-Gruppen der – mittlerweile Mütter gewordenen – ehemaligen Schulkolleginnen kann Anja wenig abgewinnen.

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Haidacher bringt dabei den Horror auf den Punkt, sollte Anjas ursprünglich nur für kurz geplante Auszeit im Elternhaus doch länger andauern: „Es hat etwas eigenartig Anziehendes, dieses alte Vertraute, das es nicht mehr gibt, das aber irgendwie noch da ist, aber abstoßend sind die Dinge, die darauf hindeuten könnten, dass sie jetzt länger bleiben wird, dass mehr daraus werden könnte als eine Erinnerung, dass das auf Dauer ihr Leben und ihre Vergangenheit ihre Zukunft werden könnte.“ Die Faschingsparty im „Café Ulli“ scheint der ideale Ort zu sein, um ihrer allerbesten Jugendfreundin Magda von einer großen Lebensentscheidung zu erzählen. Doch Magda taucht nicht nur unverkleidet, sondern mit einem fremden Mann im Lokal auf – und hat fortan kaum mehr Lust, ihre Freizeit mit Anja zu verbringen.

Was anhebt wie ein gescheiterter Versuch, eine alte Freundschaft wiederzubeleben, wird jedoch bald zu einer aussichtslos erscheinenden Rettungsaktion aus einer toxischen Beziehung. Bald bemerkt Anja Veränderungen an ihrer einst so lebenslustigen Freundin, die sich immer mehr zurückzieht und nur mehr nach den Vorgaben ihres neuen Freundes lebt.

Doch auch Anja kämpft gegen ihre Dämonen, wird ihre anfängliche Auszeit doch immer länger, bis sich sogar das Unbehagen der eigenen Eltern in einer denkwürdigen Tischszene über die Lebens- und Arbeitseinstellung der Millennials entlädt: „Sie hat sich gerade eine Buttermilch eingeschenkt, da wollte ihr Vater plötzlich von ihr wissen, wie das jetzt genau gemeint ist mit dieser Work-Life-Balance, die jetzt alle haben wollen und deswegen nur mehr halbtags arbeiten oder gar nicht arbeiten oder irgendwas Sinnloses arbeiten und das als Arbeit bezeichnen, womit werden die alle ihre Zukunft erbauen, die heutigen Jungen?“

Eine Antwort hat Anja nicht wirklich darauf, entdeckt aber ihre Fürsorglichkeit, wenn es um ihre sterbende Großmutter geht, die sie in einem eigenen Kapitel zu einem Mega-Konzert eines berühmten Geigers begleitet, dort gedanklich aber immer wieder zu Ereignissen rund um ihre Beziehung zu Magda abschweift. Jenes Kapitel, in dem sich Mutter und Tochter von der Oma am Sterbebett verabschieden, hat Haidacher – in überarbeiteter Form und unbelohnt – bereits in Klagenfurt vorgetragen.

Toxische Beziehungen

Im Laufe der Lektüre entwickelt „Malibu Orange“ eine einnehmende Dringlichkeit in Sachen toxischer Beziehungen, bleibt jedoch dank des immer wieder eingestreuten Humors – Haidacher ist auch als Kabarettistin erfolgreich – auch luftig. Zugleich fängt die 38-Jährige das dörfliche Lieben und Leben auf liebevolle Weise ein und streift auch große Themen ihrer Generation von Work-Life-Balance bis Pflegenotstand. Am Montag kommt das Buch in den Handel, am 17. September präsentiert Haidacher „Malibu Orange“ dann im Literaturhaus Graz.

Von Sonja Harter

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