Schau im Jüdischen Museum Wien: Weiterwirken des Holocaust

„Die Dritte Generation“: Fotos von Dan Glaubach, Wachsobjekt von Dvora Morag © APA/Wolfgang Huber-Lang

In wenigen Jahren wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Dann werden die letzten Überlebenden des Holocaust gestorben sein. „Niemals vergessen!“ heißt es, doch die Shoah lässt sich nicht vergessen. Das Trauma wirkt weiter. „Es gibt viele Bücher darüber, aber noch keine Ausstellung“, sagte Direktorin Barbara Staudinger am Dienstag bei der Presseführung der Schau „Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“, die am Abend im Jüdischen Museum Wien eröffnet wird.

„Es ist eine Ausstellung, die mir sehr am Herzen liegt“, betonte Staudinger, die sich darüber freute, dass die Ausstellung im Frühling in das Jüdischen Museum München weitergeht. Weil es zwar um historische Ereignisse, aber um heutige Gefühle geht, habe man bei der Ausstellungsarchitektur (Büro koerdtutech) die übliche Zurückhaltung aufgegeben. Aber für Emotionen sorgen die aus den USA, Kanada, Israel und vielen europäischen Ländern stammenden Objekte und vor allem die Geschichten, die sie erzählen, ohnedies. Mit Wandtapeten und Modelleisenbahnanlagen, Graphic Novels und Romanen, Installationen und Bildern wird hier Erinnerung verarbeitet. Die Enkel hätten die „Mauer des Schweigens“, der sich die Kinder der Überlebenden meist gegenübergesehen hätten, oftmals durchbrechen können, schilderte Sabine Apostolo, die gemeinsam mit Gabriele Kohlbauer-Fritz die Ausstellung kuratierte. „Dadurch war der Holocaust in den 80er- und 90er-Jahren präsenter als in den 1960ern.“

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In der Ausstellung begegnet man einigen bekannten Namen. Von Filmemacherin Ruth Beckermann ist ein Auszug von „Die papierene Brücke“ zu sehen, von Art Spiegelmann ein Erstdruck seines berühmten „Maus“-Comic. US-Autor Jonathan Safran Foer beschrieb in seinem 2002 erschienenen Roman „Alles ist erleuchtet“ seine Reise in den ukrainischen Herkunftsort seines Großvaters, die in Kiew geborene Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja verarbeitete die Druckfahnen ihres Romans „Vielleicht Esther“, in dem sie an das Massaker in der Schlucht Babij Jar erinnerte, in langen Papierketten, die Vergangenheit und Gegenwart verbinden sollen. Vom Franzosen Christian Boltanski ist seine Fotoinstallation „Le Lycée Chajes“ zu sehen, die von Eduard Freudmann, der auf einem der Fotos seinen Großvater Armin erkannte, mit den recherchierten Lebensgeschichten der Abgebildeten ergänzt und weitergeführt wurde.

Doch so wie sich Vergangenheit und Gegenwart verbinden, sind in der Ausstellung künstlerische Verarbeitungen und persönliche Erinnerungsstücke gleichermaßen vertreten. In einer Wiener Familie wird der Gebetsmantel des Großvaters nicht nur als Erinnerung an das einstige Grauen aufbewahrt, sondern diente auch zwei Enkeln als wichtiges Requisit ihrer Hochzeiten, in einer anderen wird das Nähkästchen aus der Zeit, in der der Großvater versteckt überlebte, in Ehren gehalten. Die Künstlerin Zsuzsi Flohr hat den Rucksack ihres Großvaters, der in der Familienüberlieferung dank seiner in den Schulterriemen versteckten Zuckerwürfel beim Überleben eine besondere Rolle spielte, nach den Beschreibungen ihres Vaters nachgebaut – und musste ein zweites, anders aussehendes Modell anfertigen, weil die Tante, die andere Erinnerungen hatte, mit dem Ergebnis gar nicht zufrieden war. Willkürlich oder unwillkürlich: Erinnerungen gleichen einander nie und verändern sich auch mit der Zeit.

Zu sehen sind auch harmlose Schwarz-Weiß-Fotografien, die Dan Glaubach von winterlichen Weingärten bei Gumpoldskirchen gemacht hat. Eine klinische Psychologin verwendet die Fotoserie in ihrer Arbeit mit Überlebenden und deren Nachkommen und berichtet von heftigen Lager-Assoziationen beider Generationen. Über den Fotos ist ein Zitat der Journalistin und Autorin Anna Goldenberg zu lesen, die sich in ihrem Buch „Versteckte Jahre“ mit der Überlebensgeschichte ihres Großvaters beschäftigte: „Es schmerzte zu wissen, dass meine Albträume die Wirklichkeit meiner Vorfahren gewesen waren.“

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Der Schauspieler Daniel Langbein setzt sich in seiner 15-minütigen Performance „Lebenslang“ mit der Hinterlassenschaft seines Großvaters, des KZ-Überlebenden und Widerstandskämpfers Hermann Langbein auseinander, die israelische Performerin und Singer-Songwriterin Nitsan Bernstein hat gemeinsam mit dem Musiker Patrick Farrell ein „3rd Generation Cabaret“ erarbeitet, in dem auf Englisch, Deutsch, Hebräisch und Jiddisch eine Reise vom Berlin der 1930er-Jahre bis ins Israel der Gegenwart unternommen wird. „Lebenslang“ wird am 12., 13. und 14. November in der Bar&Co des Wiener Theaters Drachengasse erneut gezeigt, das „3rd Generation Cabaret“ gastiert als Teil eines umfangreichen Beiprogramms zur Ausstellung morgen, Mittwoch, im Wiener Theater Nestroyhof Hamakom.

„Die Dritte Generation. Der Holocaust im familiären Gedächtnis“, Ausstellung im Jüdischen Museum Wien, Wien 1, Dorotheergasse 11, 18.9. bis 16.3.2025, So bis Fr 10-18 Uhr, Katalog, erschienen im Hentrich & Hentrich Verlag, 29,90 Euro, jmw.at; „3rd Generation Cabaret“ von Nitsan Bernstein und Patrick Farrell am Mittwoch, 18. September, 19 Uhr, Theater Nestroyhof Hamakom, Wien 2, Nestroyplatz 1, hamakom.at