In Bulgarien hat die bürgerliche GERB-Partei des früheren Langzeit-Premiers Bojko Borissow die siebente vorgezogene Parlamentswahl in dreieinhalb Jahren laut Nachwahlbefragungen gewonnen. Sie kommt laut Exit-Polls von „Gallup International“ vom Sonntag auf 25,1 Prozent der Stimmen. Borissow will unbedingt eine Regierung bilden. Unklar bleibt, ob er eine Regierungsmehrheit organisieren kann, denn in das neue Parlament in Sofia ziehen bis zu neun Parteien ein.
Noch am Wahlabend trat Borissow vor die Presse und erklärte den Wahlsieg seiner Partei „kategorisch“, was ihn verpflichte, eine Regierungsmehrheit zu organisieren. „Wir sind bereit, mit allen Parlamentsparteien mit Ausnahme der (prorussischen, Anm.) Wiedergeburt, denn unsere Ideologien schließen sich aus“, sagte Borissow. Seine prowestliche GERB-Partei ist Mitglied der EVP und bekam während des Wahlkampfes prominente Unterstützung – aus Brüssel reiste die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an.
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Borissow lehnte außerdem die Idee des ideologisch nahestehenden liberal-konservativen Bündnisses PP-DB ab, einen parteilosen Regierungschef zu ernennen, nach dem Beispiel von Mario Draghi in Italien. „Das würde den Wählerwillen ignorieren“, argumentierte Borissow. Ferner betonte er, für vernünftige Kompromisse bereit zu sein, allerdings im Rahmen des Wahlprogramms seiner Partei.
Nach Ansicht von Borissow wird sich die Regierungsbildung deutlich schwieriger gestalten, wenn acht oder gar neun Parteien ins Parlament einziehen. Nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen durch die Meinungsforscher von „Gallup International“ schaffen acht Parteien den Sprung ins Parlament. Die populistische Formation „Größe“, die bei der vorausgegangenen Wahl im Juni überraschend als kleinste Fraktion in der Volksversammlung saß, schaffte diesmal den Einzug nicht. Außerdem schmilzt der Vorsprung des prowestlichen Bündnisses PP-DB auf 14,2 Prozent, dicht gefolgt von der prorussischen Partei „Wiedergeburt“ mit 14 Prozent.
Auf die weiteren Plätze folgen die ebenfalls moskaunahe sozialistische Partei BSP mit 8,1 Prozent, die zwei Splitterformationen der DPS-Partei der türkischen Minderheit, die populistisch-nationalistische ITN sowie zwei populistischen ideologielosen Kleinstparteien „Größe“ und „Schwert“, die es knapp über die Vier-Prozenthürde schaffen. Die Exit-Polls des Meinungsforschungsinstituts „Alpha Research“ zeigen ein Sieben-Parteien-Parlament, in welchem „Größe“ und „Schwert“ außen vor bleiben.
Trotz ihres Wahlsiegs wird es für die prowestliche Mitte-Rechts-Partei GERB nach wie vor nicht einfach, Koalitionspartner zu finden. Das reformorientierte liberal-konservative Bündnis PP-DB, das erneut zweitstärkste Kraft ist, zögert mit der Unterstützung wegen der Korruptionsvorwürfe gegen GERB-Chef Borissow. Die anderen Parteien, die ins Parlament einziehen, sind entweder moskautreu oder populistisch, und als Koalitionspartner unerwünscht. Die beiden rivalisierenden prowestlichen Parteien GERB und PP-DB hatten bis zum Frühjahr gemeinsam regiert, allerdings nicht einmal ein Jahr lang. Wegen Meinungsverschiedenheiten beim Reformkurs und Kampf gegen Korruption ging ihre Koalition in die Brüche.
Im Vorfeld wurde erwartet, dass die traditionell niedrige Wahlbeteiligung einen neuen Tiefstand erreicht. Diese Erwartungen der Soziologen haben sich jedoch nicht verwirklicht. Ersten Berechnungen von „Gallup International“ zufolge liegt sie bei 33,5 Prozent und somit etwas höher als bei der vorausgegangenen Wahl am 9. Juni. „Die Parteien haben ihre Möglichkeiten, neue Wählergruppen anzusprechen, längst ausgeschöpft“, kommentierte der Politikwissenschaftler von der Neuen bulgarischen Universität Hristo Pantschugow.
Viele Menschen haben die ständigen Abstimmungen satt und wenden sich enttäuscht von der Politik ab. Je niedriger die Wahlbeteiligung, umso weniger Stimmen reichen für den Einzug ins Parlament aus. Davon profitieren die Populisten, aber vor allem die prorussische Partei „Wiedergeburt“. Sie schaffte den Sprung ins Parlament erst im November 2021 mit damals knapp fünf Prozent. Von Neuwahl zu Neuwahl hat sie ihre Unterstützung fast verdreifacht, genährt durch die Enttäuschung über die etablierten Parteien. In der Außenpolitik drückt sich ihre moskautreue Politik in der Forderung nach einem Austritt Bulgariens aus der NATO und im Vorwurf an die prowestlichen Kräfte, durch ihre Unterstützung für die Ukraine werde Bulgarien zu einem Kriegstreiber.
Bulgarien kommt seit 2021 politisch nicht zur Ruhe. Damals hatten Anti-Korruptions-Proteste die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Borissow zu Fall gebracht. Nach dieser Neuwahl gibt es wenig Hoffnung, dass die politische Krise beendet wird. Die anhaltende politische Instabilität könnte auch die Bewerbung Bulgariens um den Beitritt zur Eurozone im Jahr 2025 gefährden.