„Ich hatte keine Lust, mich für mein hohes Alter zu entschuldigen“

Sophie Rois über eine große Liebe, dunkle Punkte, den Fatalisten Frank Castorf und Gemüsemayonnaise

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Sie ist eine Erscheinung und eine unglaubliche Schauspielerin. Die in Linz geborene und in Ottensheim aufgewachsene Sophie Rois lebt seit langer Zeit in Berlin, ist eine Theaterikone und aus Film und Fernsehen nicht wegzudenken.

Mit ihrem aktuellen Kinofilm „AEIOU“ ist sie zu Gast beim Filmfestival Crossing Europe in Linz. Das VOLKSBLATT traf die humorvolle und sympathische Aktrice.

VOLKSBLATT: Ich fand Ihre Figur in „AEIOU“, Schauspielerin Anna, perfekt und unberechenbar zugleich. Was hat Sie an der Figur gereizt?

SOPHIE ROIS: Die Coco (Regisseurin Nicolette Krebitz, Anm.) hat zu mir gesagt: Die Frau ist fertig! Die kann nicht mehr. Und da dachte ich: Super, das kann ich! Ich kann nicht mehr — kann ich. Und ich mochte diese Art von Arroganz, die sie den Zumutungen ihres Berufs gegenüber hat. Sie hat sich darauf verlegt hat, lieber Schulden zu haben, ihren Vermieter auszunutzen, Zigaretten zu schnorren und in der Paris-Bar zu sitzen. Die muss nicht unbedingt im nächsten „Polizeiruf“mitspielen. Diese angenehme Haltung, die einem gewissen Alter entspricht, die weiß, für mich gibt es da keinen Blumentopf zu gewinnen und ich brauche ihn auch nicht. Ein bisschen so: Leckt mich!

Und dadurch aber auch ein bisschen draußen ist.

Dadurch ergeben sich im Denken und Fühlen gewisse Freiheiten und so gewisse Möglichkeiten, dass die ein freier, arroganter Mensch ist. Das mochte ich.

Nicolette Krebitz erzählt in „AEIOU“die Liebe zwischen der 60-jährigen Anna und dem 17-jährigen Adrian, ohne sie zu problematisieren …

Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Ich hatte nämlich überhaupt keine Lust, mich für mein hohes Alter zu entschuldigen.

Es gibt ja nun auch Kritiken, die sagen, die Beziehung sei missbräuchlich …

Waaas?

Das Argument ist, dass es ja ein Lehrerinnen-Schüler-Verhältnis sei.

Das finde ich ja gerade besonders anregend. Gut, ok, mit diesem Vorwurf muss ich fertig werden (lacht). Das lasse ich ‚mal so stehen.

Sie spielen ja Adrians Lehrerin, haben Sie Ihrem jungen Kollegen Milan Herms etwas beibringen können?

Nein. Es ging sogar während des Drehens soweit, dass er anfing, mir gute Tipps zu geben. Jaja, diese jungen Leute, die sind ja dann alle schon solche Profis. Der sagte dann auch so ‚was wie: „Du stehst nicht in der eyeline“. Wo ich dachte: Naja, der muss es ja wissen! (lacht) Nein, ich finde ihn total super.

Haben Sie denn eine pädagogische Ader?

Ich glaube, ich kann niemandem etwas beibringen, deshalb habe ich wahrscheinlich auch keine Kinder. Ich bin froh, wenn ich selber irgendwie mit den Widrigkeiten des Lebens zurecht komme. Ich kann höchstens eine Atmosphäre schaffen, in der sich jemand wohlfühlt. Jemand etwas beibringen? Nein, außer wie man gut Gemüsemayonnaise macht. Kann ja auch wichtig sein …

Anna gibt Adrian Sprechunterricht. Können Sie sich an Ihre Stunden erinnern?

Ab natürlich! Es war der reine Horror! Ich kam in die erste Stunde und der Dozent sagte zu mir: Ich sage dir gleich, ich habe gegen dich gestimmt. Du gehörst in ein Krankenhaus und nicht auf eine Bühne. Umso größer war jetzt die Genugtuung, eine Sprecherzieherin zu spielen, sich da als kompetente Koryphäe aufzuspielen. Das ist auch das Schöne beim Spielen, dass man Sachen behauptet, die man eigentlich nicht kann.

Das Alter von Anna spielt im Film permanent eine Rolle. Hat Alter in Ihrem Leben eine Bedeutung? Oder sind Sie da eher der Typ: Kann man eh nix machen?

Nein, es spielt absolut eine Rolle. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen würden, ich fühle mich noch immer wie 26. Nein, ich fühle mich wie 60, 61 werde ich jetzt. Mit 18 oder 20 ist das alles offen. Auch wenn du mit 22 stirbst, das weißt du ja mit 20 nicht. So viele Entscheidungen sind noch nicht gefallen und es gibt nichts, wo du denkst, das ist unumkehrbar. Und jede Zelle schreit nach Leben. Mit 60 sind ganz viele Dinge entschieden und da ist es für viele Dinge auch zu spät.

Gibt es in Ihrem Leben solche Dinge?

Oh ja, da gibt es ganz vieles. Aber das erzähle ich Ihnen jetzt nicht. (lacht). Also, da gibt es dunkle Punkte, über die wir jetzt nicht sprechen müssen. Aber eigentlich gibt es wahnsinnig viel, wo ich denke, ich hatte so ein Scheißglück. Was bin ich doch für ein Glückspilz, was habe ich für wahnsinnig tolle Leute getroffen. Alleine, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, als in Berlin die Mauer fiel. Und es dann die Volksbühne gab mit dem Frank Castorf, und ich in die Gruppe von Leuten gestolpert bin, die so einen anderen Zugang zu Theater hatten.

Wie war das für Sie?

Das war völlig anders als alles Theater, was ich bin dahin kannte. Dieses Volkstheaterhafte, aber von völlig gebildeten Leuten, die ästhetisch so weit vorne waren. Das schloss an Pop an und hat dem Theater seinen Sexappeal zurückgegeben. Das hatte auch immer etwas mit Selbstprovokation und Widerspruch zu tun. Das waren dort Leute, die am Anfang standen und diese fatalistische Einstellung, die der Castdorf immer hatte: Naja, entweder ist in drei Jahren die Bude zu oder wir sind Theaterstars.

Wahrscheinlich auch total risikofreudig …

Total! Der hatte keine Angst. So ‚was habe ich weder vorher noch nachher am Theater gefunden. Der hatte auch eine Freude an Leuten, die er nicht unbedingt beherrscht und nicht unbedingt verstanden hat. Das hat mich nachhaltig geprägt. Ich denke also, was hatte ich für eine Wahnsinns-Masen!

Das begann auch schon hier in Ihrer oberösterreichischen Heimat?

Ich war die letzten Male für Beerdigungen in Linz, deswegen finde ich es ja auch schön, jetzt zu so einem freudigen Anlass hier zu sein. Das war einmal der Peter Donke, der gestorben ist, und ein paar Jahre später der Kurt Holzinger. Peter Donke war ja mein erster Freund hier, eine meiner großen Lieben. Wir waren auch bis zu seinem Tod befreundet und haben Musik zusammen gemacht. Er war so wichtig und prägend für mich, in seiner Art zu denken. Kurt Holzinger auch, so ein gescheiter und begabter Mensch. Das war so bedeutend für mich, was die erste Prägung außerhalb des Elternhauses betrifft. Das waren diese Leute hier in Linz.

Nach einer Pause ab 2017 gehen Sie jetzt wieder an die Volksbühne in Berlin. Erhoffen Sie sich unter den Intendanz von René Pollesch wieder so ein Erlebnis wie damals?

Was so eine Grunderfahrung meines Lebens ist, ist, immer wenn du dir gar nichts erwartest, dann hast du ein offenes Feld und bist nicht enttäuscht, wenn es schief geht. Das wird nicht mehr so, wie das war, Das wird was ganz anderes und muss es auch. Ich werde der Welt da nicht mehr einen Haxn ausreißen. Das haben ich mit anderen Leuten eventuell gemacht.

Was haben Sie vor an der „neuen“ Volksbühne?

Ich habe mir überlegt, ein eigenes Format namens „Deine Eltern“ins Leben zu rufen. Da muss ich mich dann auch nicht rechtfertigen, wenn ich mit einer Ingeborg Bachmann-Lesung um die Ecke komme und man sagt: Na, was will die denn jetzt hier mit diesem 20. Jahrhundert-Kram. Es ist auch schon eine Theaterproduktion für nächstes Jahr geplant mit dem Titel „Vielleicht hatten Deine Eltern recht“. Damit es schon klar ist, dass man kein Berufsjugendlicher ist, sondern schon weiß, wie alt man ist.

Mit SOPHIE ROIS sprach Mariella Moshammer

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