Alle schauen so gereizt

Neuer Roman von Büchner-Preisträger Friedrich Christian Delius

Friedrich Christian Delius:Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich. Rowohlt, 256 S., € 20,60
Friedrich Christian Delius:Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich. Rowohlt, 256 S., € 20,60 © Rowohlt

Ein Schriftsteller, der nicht schöngeistige, tiefsinnige Literatur produziert, sondern das schnöde Feld des Politisch-Ökonomischen beackert: aber hallo! Friedrich Christian Delius hat in seinem neuen Roman „Wenn die Chinesen Rügen kaufen, dann denkt an mich“ seinen Helden gut in Stellung gebracht. Ein 63-jähriger Wirtschaftsredakteur einer bürgerlichen Zeitung, „freigestellt“ zwei Jahre vor seiner Pensionierung. Zu kritisch für seine Chefs, meint er, die „Dax (Deutscher Aktienindex, Anm.)-Priester dürfen natürlich bleiben“. Seinen künftigen sozialen Status kommentiert der Aussortierte auf der ersten Seite: „Vorsicht, ich stinke.“ Er beschließt, Tagebuch zu führen, beginnend mit 30. 9. 2017. Sein Vorbild Dante Alighieri, der vor auch schon wieder 700 Jahren die Mächtigen seiner Zeit, nämlich drei Päpste, in der Hölle schmoren lassen wollte.

Ein Roman? Die Dramaturgie minimalistisch, ein Freund aus Studienzeiten kehrt aus den USA zurück, am Ende ein Ausflug nach Rügen. Delius, 1943 in Rom geborener deutscher Schriftsteller, Büchner-Preisträger von 2011, begibt sich unbekümmert in literarisch-essayistisches Grenzgebiet. Spürt in dem knappen Tagebuch-Jahr zunehmender Gereiztheit im Land nach und tut dies mit einigem Witz und analytischer Schärfe. Eine elend vergeigte Fußball-Weltmeisterschaft, die deutsche Autoindustrie in den Schlagzeilen, eine Kanzlerin, die nicht mehr alles im Griff zu haben scheint. Lange beiseite geschobene Riesenthemen poppen auf. Ökologisierung, Digitalisierung, Geldwäsche in der EU. Bildung, Pflege, eine klar definierte Einwanderungspolitik für ein absehbar vergreisendes Land.

Der Ich-Erzähler eine deutsche Seele, ein Rechthaber auch. EU-Befürworter und -Kritiker, der Angela Merkel schätzt, aber sie die „Meistüberschätzte“ nennt. Die politisch-ökonomische Ursünde der EU das Abwälzen der Bankenkrise auf Griechenland, der „Rettungsplan“ eine einzige Farce. Der Schreiber hakt sich an der angehenden Weltmacht China fest, digitale Diktatur in Verbund mit dem Unterwerfungsethos des — ansonsten sehr effektiven — Kalenderblatt-Philosophen Konfuzius.

Angeprangert der sogenannte Neoliberalismus: „Jetzt erst kapiert man, dass das Zauberwort ,Privatisierung´ die freundlichste Einladung auch an chinesische Investoren war und zu einer anderen Art Verstaatlichung führt.“

Delius zu lesen erhellt einiges, reizt zu Kritik und macht Spaß. Der Autor liest am 29. Februar (20 Uhr) im Linzer Posthof.

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