Alles Schöne ist bloß Lüge

Neuerdings im Thriller-Genre: Kurt Palms Roman „Der Hai im System“

Vielleicht sind wir ja nur Spielball unserer Triebe und unserer Umgebung: Kurt Palm, Erfolgsautor („Bad Fucking“) aus Vöcklabruck.
Vielleicht sind wir ja nur Spielball unserer Triebe und unserer Umgebung: Kurt Palm, Erfolgsautor („Bad Fucking“) aus Vöcklabruck. © Julius Hirtzberger

Kurt Palms neuer Roman macht am Anfang richtig gut schlechte Laune. Ein Typ, der Supermarktkassierinnen stalkt und mit dem Feldstecher Schüler und Schülerinnen im nahen Pausenhof beäugt. Ein Spinner.

Palm konfrontiert mit weiteren halb- und dreiviertelkaputten Existenzen. Franziska Steinbrenner hält sich mehr oder weniger wacker als Lehrerin in einer so genannten Problemschule. Immerhin, das Sorgerecht für ihre kleine Tochter hat Franziska von ihrem kranken, depressiven Mann erkämpft.

Derweil der Polizist Philip Hoffmann im Streifenwagen, wartet ängstlich und wütend zugleich auf weitere SMS von Lena. Der psychisch labilen, dauergeilen Frau (und seiner eigenen Gier) ist Hoffmann in die Falle gegangen, während er daheim kaum noch die Kraft aufbringt, seiner schwangeren Frau Margit das triste Spiel vom fürsorglichen Ehemann vorzuspielen.

Kurt Palms jüngster Roman „Der Hai im System“ hat gerade am Anfang seine Störmomente, wenn der Autor zwischen „authentischer“ Umgangssprache und „literarischer“ Hochsprache wabert. Palm versucht sich neuerdings im Thriller-Genre, sein „Hai“ ist spannend zu lesen, ihm gelingen – trotz und wegen aller Derbheit – sensible Charakterstudien.

Brav oder triebhaft

Kurt Palm stellt dem Roman ein Zitat des irischen Schriftstellers Patrick McCabe voran. Übersetzt: „All die schönen Dinge dieser Welt sind Lügen. Sie zählen nichts am Ende.“ Und so nähert sich Palm zärtlich, ehrlich den Biografien seiner Figuren. Sind sie Spielball der Umstände und ihrer Umgebung, geprägt von Ängsten der Kindheit, in Defensivhaltung gegen Erfahrungen der seelischen Ohnmacht? Das muslimische Mädchen, das seine erste Periode vor dem Vater verheimlichen will, damit er sie nicht als „unrein“ verflucht. Der Wahnsinnige am Fenster, der als Kind so viele Ohrfeigen von der Mutter kassierte, dass seine Ohren heute noch beleidigt auf jedes Geräusch reagieren. Der kaltherzige Vamp Lena: Opfer von „schulterklopfenden Männern“, darunter ihr Vater, oder hat sie auch selbst reichlich Mist gebaut?

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Menschen träumen vom braven, glücklichen Leben oder folgen ihren Trieben und/oder kriminellen Neigungen. Während die Figuren in trüber See des Lebens waten, zieht Palm die Daumenschrauben an und führt die Lebensfäden zusammen. Die Uhr tickt, in der Wohnung des Mannes lehnt Diebsbeute noch vom Bundesheer, ein Sturmgewehr 77. 42 Schuss, der Pausenhof das Ziel: „In einer Stunde ist alles vorbei. Da ist der Pausenhof voll, und ich hoffe, dass die beiden Typen, die mich als ,Fettsack´ und als ,fette Sau´ beschimpft haben, auch da sein werden. Denen schieße ich die Eier weg, dann gibt es keinen Fettsack mehr und keine fette Sau.“

White Trash und migrantischer Sprachenmix, Oida, echt porno! Das Finale entsetzlich, der Autor irrt wie mit einer Handkamera durch das Massaker. Er beschreibt das Entsetzliche sehr gut.

Von Christian Pichler

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