Als sich dunkle Wolken über Zipf zusammenbrauten

Neues Buch beleuchtet die Geschichte der Brauerei Zipf im Zweiten Weltkrieg

Das neue Buch beleuchtet die Geschichte der Brauerei Zipf in ihrer dunkelsten Zeit.
Das neue Buch beleuchtet die Geschichte der Brauerei Zipf in ihrer dunkelsten Zeit. © Archiv Brauerei

Sein Großvater Raimund Lenz hat ihm 2015, wenige Monate vor seinem Tod, davon erzählt, dass er während des Zweiten Weltkrieges in der Brauerei Zipf als Praktikant gearbeitet hat. Sein Urgroßvater, ein NSDAP-Mitglied, wiederum war Maschinenmeister ebendort.

Aus diesen persönlichen, aber auch aus wissenschaftlichen Gründen war es dem Historiker Stefan Wedrac (38) ein Bedürfnis, sich mit der Geschichte der Brauerei in Hausruckviertel auseinanderzusetzen und damit ein wenig erforschtes Kapitel aufzuarbeiten. Die kürzlich erschienene Publikation „Die Brauerei Zipf im Nationalsozialismus. Ein österreichisches Brauunternehmen zwischen NS-Kriegswirtschaft, V2-Rüstungsbetrieb und KZ-Außenlager“ basiert auf mehreren Jahren intensiven Forschens und bringt einiges ans Licht, was zuvor Mythen und Legenden verklärt haben.

„Es ging darum, eines der wichtigsten Themen eines der größten Unternehmen in der Gegend aufzuarbeiten“, so Wedrac.

Mit Tarnfarbe und unter dem Decknamen „Schlier“

Die Lage abseits von von den Alliierten häufig bombardierten Orten und an der Gleisstrecke der Westbahn begünstigte 1943 die Entscheidung der Nazis, aus der Brauerei Zipf einen geheimen Rüstungsbetrieb zu machen. Die Gebäude wurden dafür mit schwarzer Tarnfarbe angestrichen, das Projekt erhielt den Decknamen „Schlier“. Bis zu 2000 KZ-Häftlinge, die dort zum Einsatz kamen, wurden in Redl-Zipf, einem Außenlager von Mauthausen, untergebracht. Ähnlich wie im KZ Gusen mussten viele beim Ausbau der Keller, Bunker und Stollenanlagen, wo Flüssigsauerstoff für den Antrieb von V2-Raketen erzeugt und einige 100 Triebwerke getestet wurden, ihr Leben lassen, wurden zu Tode geschunden. Dass KZ-Häftlinge in Zipf auch Bier gebraut hätten, ist laut Wedrac eine Mähr.

Für die Brauerei bedeutete der Bierabsatz anfangs in der Wehrmacht einen Aufschwung – bis der Rüstungsbetrieb einzog: Die Besitzer waren von der Nutzung als Rüstungsbetrieb, in dem eine stark verkleinerte Bierproduktion der Tarnung diente, gar nicht begeistert. „Die Nazis stellten sie vor vollendete Tatsachen“, so Wedrac. Systemtreue Mitarbeiter und die Entsendung von Parteimitgliedern in den Vorstand der Brauerei verschärften Druck und Einflussnahme: So nahm dort der Bruder des berüchtigten Nazi-Kriegsverbrechers Ernst Kaltenbrunner, Walter Kaltenbrunner, Platz. Ein Teil der Mitglieder der Brauereifamilie kam als Mischlinge zweiten Grades in Haft, einige durften im Betrieb nicht mehr mitarbeiten.

Was in der Brauerei geschah, war laut Wedrac nicht zu übersehen und auch nicht zu überhören: Die Häftlinge wurden in einem Radius von einigen Kilometern eingesetzt. Wedrac: „Viele aus der Bevölkerung haben ihnen regelmäßig etwas zum Essen zugesteckt.“ Die Raketentriebwerkstests waren so laut, dass man sie weit über die Gemeindegrenzen hinaus gehört hat.

Viel Aufmerksamkeit erhielt das am Ende des Krieges, um Spuren zu verwischen, von den Nazis abgebrannte Außenlager Redl-Zipf später, weil hier in den letzten Kriegstagen die durch den gleichnamigen Film berühmt gewordenen Fälscher untergebracht worden waren. Sie sollten dort ihre Fälscherarbeiten wieder aufnehmen. Dazu kam es jedoch nicht mehr: „Die Maschinen wurden in einem großen Loch auf dem KZ-Gelände vernichtet“, erklärt Wedrac.

Brauunion öffnete für Historiker die Archive

Mit Kriegsende kam die Bierproduktion für etwa ein Jahr zum Stillstand, der Rüstungsbetrieb bestand bis in die 1950er-Jahre, bevor er abgewickelt werden konnte. Der heutige Besitzer, die Brauunion, öffnete für den Historiker Wedrac, der an der Uni Wien tätig ist, erstmals die Archive und unterstützte die Recherchen, Wedrac knüpfte Kontakte zur früheren Besitzerfamilie, die noch immer in Zipf lebt, und begab sich in Archiven in Washington, Berlin, Wien und Linz auf die Suche. All das lieferte ein dichtes, neues Bild von den Geschehnissen. „Ein Beitrag zur Öffnung, damit auch eine breitere Öffentlichkeit davon erfährt“, betont der Autor. Die Lokalhistorikergruppe „Arge Schlier“ bemüht sich darum, dass künftig mehr Führungen auf dem Betriebsgelände stattfinden können. Bisher wird nur einmal im Jahr Zugang gewährt: „Der Testbunker auf dem Gelände ist das letzte wirkliche große Relikt des deutschen Raketenprogrammes“, erklärt Wedrac. Eine Gedenkstätte, über die Gespräche mit der Brauunion geführt werden, wäre aus seiner Sicht wünschenswert.

Stefan Wedrac: Die Brauerei Zipf im Nationalsozialismus. Ein österreichisches Brauunternehmen zwischen V2-Rüstungsbetrieb, KZ-Außenlager und NS-Kriegswirtschaft. Böhlau, 288 S., € 42

Von Melanie Wagenhofer

Das könnte Sie auch interessieren