Am anderen Ende der Karriere

Ulrich Seidls „Rimini“ konfrontiert ungeschönt mit Sehnsüchten

Michael Thomas als Schlagersänger Richie Bravo, der seinen Fans alles gibt.
Michael Thomas als Schlagersänger Richie Bravo, der seinen Fans alles gibt. © Stadtkino

„Du schaust ja aus wie eine … wie eine Göttin, wie eine Sexgöttin!“ In einem spärlichst besuchten Hotel, das zu anderen Jahreszeiten aus allen Nähten platzt, lässt eine betagtere Frau (Claudia Martini) ihre Hüllen fallen und sich in die Arme ihres Liebhabers. Im Nebenzimmer ihre bettlägerige Mutter, die sie später in den Armen halten wird und ihre Einsamkeit in Tränen gießen wird.

Doch zuerst macht sich Richie daran, die Frau zu beglücken, nicht, ohne danach das dezente Kuvert einzustecken. Die Geldscheine darin bekommt er auch von anderen Damen nach getaner Befriedigung. Die Ladies sind in die Jahre gekommene Fans von Richie Bravo, Groupies, die ihren Star bezahlen. Ein Star war Richie Bravo einmal, geblieben ist er ein Schlagersänger, der seine verbliebenen Anhänger im winterlichen Rimini empfängt.

Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl, verantwortlich für solche Wunderwerke wie „Hundstage“, hat seinen neuen Film „Rimini“ rund um Richie Bravo, grandios verkörpert von Michael Thomas („Import Export“), entstehen lassen. Fürs Begräbnis des Vaters (in seiner letzten Rolle Hans-Michael Rehberg) kehrt Richie kurz in die österreichische Provinz zurück, trifft dort auf seinen Bruder (Georg Friedrich). Diesem widmet Seidl seinen nächsten Film, „Sparta“.

Doch in „Rimini“ ist es Richie, der alle Aufmerksamkeit bekommt. Etwas, was der leidenschaftliche Mann früher gewohnt war. Doch auch jetzt, am anderen Ende seiner Karriere, gibt er nicht auf, bereitet jeden seiner Auftritte konzentriert vor, schmettert seine Lieder über Amore, Herzen und In-den-Armen-liegen mit der einstigen Inbrunst.

Am Ende könnte ein Funke Hoffnung bleiben

Ulrich Seidl porträtiert, gewohnt ohne Schonung seines Publikums, einen Mann, dessen Leben armselig ist. Sein Haus hat er an Fans vermietet, er selbst haust in leeren Hotels und säuft. Nichts gleicht den Liebesschwüren der Songs, den Frauen (darunter Inge Maux) raunzt er Altherren-Komplimente ins Ohr, Unterleiberl und Seehundmantel bleiben dieselben, wenn er durch die nebelige Einsamkeit des Badeortes marschiert. Immer wieder kreuzt sein Weg Flüchtlinge, die gestrandet an geschlossenen Strandhütten kauern. Verglichen mit ihnen scheint er ein Ziel zu haben, doch das ist ebenso Schein wie der Rest seines Daseins.

Parallel dazu erzählt Seidl die Geschichte des in einem Altenheim dahinsiechenden Vaters, dessen Zimmerwände mit Anweisungen durch den Alltag gespickt sind, die Wände in den Gängen sind fotorealistische Erinnerungen an ein ganz anderes Leben, in dem es Wälder und Sonnenaufgänge gab.

Als Richies Tochter (Tessa Göttlicher) auftaucht und ihr Recht und Geld einfordert, tut sich für Schlagersänger Richie Bravo noch einmal eine Möglichkeit auf.

Seidl macht es seinem Publikum wie gewohnt nicht einfach, konfrontiert es mit universellen Sehnsüchten, mit unerträglicher Einsamkeit und einem qualvollen Rückblick.

Ein starker Film, der zu Tode betrübt, aber auch so offen ist, dass am Ende ein Funke Hoffnung übrig bleiben kann.

Von Mariella Moshammer

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