„Auch wir leben am Ende einer Ära“

„Corsage“: Marie Kreutzer drehte einen Sisi-Film fernab von Klischees

Marie Kreutzer drehte „Corsage“ 2021. 7,3 Millionen Euro hat die österreichisch-deutsch-französisch-luxemburgische Koproduktion gekostet.
Marie Kreutzer drehte „Corsage“ 2021. 7,3 Millionen Euro hat die österreichisch-deutsch-französisch-luxemburgische Koproduktion gekostet. © Pamela Russmann

Die österreichische Regisseurin Marie Kreutzer („Was hat uns bloß so ruiniert“) hat ihren neuen Film „Corsage“beim Filmfestival in Cannes vorgestellt, Hauptdarstellerin Vicky Krieps wurde in der Schiene „Un certain regard“ ausgezeichnet.

Krieps verkörpert eine Ikone der österreichischen Geschichte: Kaiserin Elisabeth. Und Kreutzer erzählt die Geschichte fernab jeglichen Sisi-Mythos.

VOLKSBLATT: Wollten Sie mit „Corsage“ etwas „richtigstellen“ am Bild, das die Menschen von Kaiserin Elisabeth haben?

MARIE KREUTZER: Nein. Ich habe nur versucht, dem Bild treu zu bleiben, dass ich mir in der Recherche von ihr gemacht habe. Es ist einfach mein Bild — und erhebt keinen Anspruch auf „Richtigkeit“.

Sie sind wahrscheinlich sehr häufig gefragt worden, ob Sie der „echten“ Sisi durch Ihre Recherche nähergekommen sind. Ich möchte Sie fragen, ob das je Ihr Wunsch, bzw. Ihre Idee für den Film war?

Nicht wirklich. Es war spannend, sich mit einer realen Person zu beschäftigen, aber jede Biografie ist auf ihre Art eine Fiktion, nichts ist objektiv, alle Historikerinnen und Historiker interpretieren. Daher hatte ich oft das Gefühl, über viele verschiedene Frauen zu lesen. Insofern könnte man sagen, ich bin ihr durch die Erkenntnis, dass sie eine komplexe Persönlichkeit war und nicht nur die süße Sisi, vielleicht ein bisschen näher gekommen. Ich ertappe mich jedenfalls in Interviews dabei, sie zu verteidigen.

Würde Sie ein Film über die „junge“ Sisi, also bevor sie ins österreichische Kaiserhaus kam, reizen?

Nein. Ich glaube, über Elisabeth habe ich mit „Corsage“ genug gesagt.

Sie haben gesagt, dass die Grundidee die war, dass die Kaiserin sich ab einem bestimmten Punkt in ihrem Leben nicht mehr zeigen wollte. Heute gibt es Photoshop und diverse Filter, um das eigene Bild schöner, perfekt zu machen. Hat sich Ihrer Meinung etwas daran geändert, dass Frauen über ihr Aussehen definiert wurden?

Es wurde und wird immer noch schlimmer. Elisabeth hatte sicher viel mit Erwartungen an ihr Aussehen zu kämpfen, aber immerhin gab es keine Paparazzi-Kultur und keine Sozialen Medien.

Sie würden Ihre Hauptdarstellerin Vicky Krieps vor der Kamera nie zähmen. Verkörpert sie damit genau das, was die „echte“ Sisi nie sein hat dürfen — ungezähmt?

Ich denke so nicht über Vicky oder Elisabeth nach. Vicky ist eine Schauspielerin, es ist ihr Job, viel von sich zu zeigen, sich zu öffnen. Elisabeth war eine Kaiserin und sollte möglichst wenig von sich offenbaren. Die Job Description ist einfach eine andere.

Ihr Film wird als „Historiendrama“ bezeichnet. Würden Sie ihn selbst auch so nennen?

Nie. Aber ich mag sowieso keine Labels auf Filmen oder Büchern und ich denke nicht in Genrebegriffen.

Wie „frei“ sind Sie in „Corsage“ mit den historischen Fakten umgegangen und waren die überhaupt so klar zu definieren?

So frei es mir richtig erschien. Wie gesagt, gibt es ja gar nicht umfassende Fakten, es gibt viele Leerstellen, viel Raum für Spekulation in so einer Lebensgeschichte.

Können Sie sich den Run auf den Sisi-Stoff erklären? Wussten Sie von den Serien von Netflix und RTL+?

Ich habe im Lauf der Finanzierung von den anderen Projekten erfahren. Ich habe keine Erklärung dafür, es ist ein interessanter Zufall, denke ich. Aber ich hoffe, die Kolleginnen und Kollegen werden das auch so oft gefragt wie ich und haben vielleicht eine interessantere Erklärung zu bieten.

„Corsage“ war ein sehr großes und für österreichische Verhältnisse auch sehr teures Projekt. Was gefiel Ihnen daran und was nicht?

Mir gefiel, dass ich den Film im Wesentlichen so machen konnte, wie ich ihn machen wollte. Das klingt banal, ist aber sehr, sehr viel in meinem Beruf. Was mir weniger gefiel, war die Unübersichtlichkeit. Vier Produktionsformen, unfassbar viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vier Ländern — ich habe nicht einmal alle Menschen kennengelernt, die an „Corsage“ beteiligt sind. Das ist ein absurdes Gefühl.

Vieles in Ihrer Geschichte ist auf wunderbare Weise modern. Was Sisi betreibt, würde man heute wahrscheinlich als „message control“ bezeichnen. Sisi und Ludwig könnte man „wohlstandsverwahrlost“ nennen. Wo sehen Sie die Parallelen zwischen der Zeit der Monarchie in Österreich und dem Heute?

Auch wir leben am Ende einer Ära und wissen noch nicht, was nachkommen wird. Das ist für mich die interessanteste Parallele: Eine Gesellschaft am Rand großer Veränderungen.

Vicky Krieps ist ja mit der Idee einen Film über Sisi zu machen auf Sie zugekommen — diese Besetzung war also klar. Wie sind Sie auf Florian Teichtmeister als Kaiser gekommen?

Ich hatte ihn schon sehr früh im Kopf. Ich fand ihn schon länger einen erstaunlichen Schauspieler und finde, dass er noch viel zu wenig große Kinorollen gespielt hat. Außerdem gefiel mir, dass er kleiner ist als Vicky. Franz Joseph war tatsächlich kleiner als Elisabeth, was aber noch nie korrekt dargestellt wurde, weder auf Gemälden noch in Filmen.

Vicky Krieps sagt, dass, wenn sie das Korsett anhatte, traurig war; konnte sie es abnehmen, konnte sie auch wieder lachen. Entstand so der herrliche Abspann Ihres Films?

Es war jedenfalls klar, dass wir das Tanzen in Zeitlupe — eine relativ spontane Idee meiner Kamerafrau — nur ohne Korsett drehen werden können. Im Korsett zu tanzen, hätte nie diese Stimmung ergeben. Dass diese Aufnahme der Abspann wird, war aber noch nicht klar.

Mit MARIE KREUTZER sprach Mariella Moshammer

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