„Aufpassen, dass nicht alles zu gefällig wird“

Die Linzerin Irene Girkinger über ihre neue Aufgabe als Intendantin des Tiroler Landetheaters

Ihre Leidenschaft fürs Theater hat einst das Linzer Phönix entfacht: Irene Girkinger leitet künftig dasTiroler Landestheater.
Ihre Leidenschaft fürs Theater hat einst das Linzer Phönix entfacht: Irene Girkinger leitet künftig das Tiroler Landestheater. © APA/VBB/Gregor Khuen Belasi

Sie war am Theater Phönix Linz, am Schauspielhaus Salzburg, bei den dortigen Festspielen und am Volkstheater Wien. Seit elf Jahren leitet sie die Vereinigten Bühnen Bozen, künftig wird sie eine neue Aufgabe übernehmen: Ab September 2023 steht Irene Girkinger (Jg. 1976) an der Spitze des Landestheaters Tirol. Die gebürtige Linzerin über Schlüsselerlebnisse, Pläne für Innsbruck und ihre Verbundenheit mit Oberösterreich.

VOLKSBLATT: Wie sind Sie ans Theater gekommen?

IRENE GIRKINGER: Wie fast alle dadurch, dass man als Kind mit den Eltern oder mit der Schule ins Theater geht. Ich habe wirklich tolle, aber auch einschneidende Theatererlebnisse in meiner Jugend in Linz gehabt. Das Theater Phönix hat mich damals angesprochen mit Klassiker-Inszenierungen, die heutig interpretiert wurden, aber auch mit Themen-Stücken: Thomas Baum mit „H.J.“, das den Aufstieg von Jörg Haider thematisiert hat, oder sein Stück „Kalte Hände“, das erste zum Thema Missbrauch in der Familie. Mit meiner Mutter, einer sehr großen Theaterliebhaberin, bin ich auch nach Wien in die Staatsoper oder ins Burgtheater gefahren. Ich habe dann in Salzburg Romanistik studiert und bin in der Zeit über Hospitanzen am Theater zur Dramaturgie gekommen. Und das war dann meins. Nach dem Studium habe ich als Uni-Assistentin für zeitgenössische Literatur gearbeitet und als Dramaturgin am Schauspielhaus in Salzburg.

Wie sehen Sie sich in Ihrer Rolle als Theaterintendantin?

Ich sehe mich als Ermöglicherin, als Dramaturgin im besten Sinne. Es geht darum, wie Texte, Stoffe und Künstlerpersönlichkeiten in einem idealen kreativen Umfeld kombiniert werden können, so dass das für das Publikum etwas erzählt. Ich weiß ganz gut, wer wohin passt. Aber selber künstlerisch im Prozess sein, wie es viele andere Intendanten machen, das kann ich nicht. Auch nicht als Regisseurin. Ich sehe das auch nicht als zwingend notwendig an und finde mich dort, wo ich jetzt gerade bin, genau richtig mit den Kompetenzen, die ich habe.

Wie gut haben Sie Ihre neue Wirkungsstätte schon kennengelernt?

Ich kenne Innsbruck und auch das Land Tirol gut, weil ich privat Nähe habe. Mein Mann ist aus Hall. Er war eine Zeit lang im Ensemble des Landestheaters. Durch meine Arbeit, meine Zeit in Wien und jetzt in Bozen habe ich den notwendigen Außenblick. Ich hatte bisher schon einen sehr kollegialen Austausch mit dem jetzigen Intendanten. Und es gibt die österreichische IntendantInnen-Gruppe, in der sich alle Landestheater zusammengeschlossen haben, Bozen durfte als assoziiertes Mitglied immer dabei sein. Jetzt gerade entdecke ich die große, gut aufgestellte Struktur in Innsbruck, das ist ja nach Linz das nächst-größte Landestheater. Es verfügt im Großen Haus über 800 Plätze und in den Kammerspielen über 220. Das Haus der Musik ist neu gebaut. Ein großer Tanker, der sehr professionell ist und wo man viel Kreativität schaffen und fördern kann.

Was sind Ihre zentralen Vorhaben in Innsbruck?

Auf jeden Fall einmal die verstärkte Anbindung an die Zeitgenossenschaft sowohl, was die Literatur betrifft, als auch, was die Teams betrifft. Damit meine ich auch Nachwuchsförderung. Man gibt jungen Regisseurinnen und Regisseuren und Schauspielerinnen und Schauspielern eine Chance, spielt zeitgenössische Autorinnen und Autoren, vergibt Auftragswerke. Weiters geht es mir sehr stark um Vernetzung, einerseits eine Internationalisierung des Theaters, ein europäisches Landestheater im Zentrum von Europa zu schaffen, mit anderen Theatern überregional zu arbeiten. Gleichzeitig wollen wir uns auch stärker regional verankern, uns mehr öffnen in Richtung anderer Kulturträger in Stadt und Land. Theater muss stärker in den öffentlichen Raum gehen, um Aufmerksamkeit zu erregen und Publikumsschichten zu erreichen, die nicht per se ins Theater gehen. Der Spielplan soll im Sinne eines Landestheaters möglichst breit aufgestellt sein. Da muss für jeden etwas dabei sein, eine gute Mischung, die aber auch an heute andockt und für viele Themen Relevanz hat.

Sie waren Dramaturgin am Theater Phönix, pflegen Sie noch Kontakte nach Oberösterreich?

Ja, sehr intensive. Ich bin dem Haus nach wie vor sehr verbunden und freue mich für meine frühere Kollegin und zukünftige künstlerische Leiterin Silke Dörner, dass sie die Geschicke dieses Hauses ab nächster Saison leiten wird. Wir treffen uns regelmäßig und schauen gegenseitig die Produktionen an. Wer weiß, was uns noch gemeinsam einfällt.

Verfolgen Sie die Entwicklungen in Oberösterreich?

Prinzipiell ja. Ich kenne viele Leute an Linzer Theatern. Andreas Baumgartner, Leiter des Theaters des Kindes, hat schon bei mir in Bozen inszeniert. Und ich habe auch mit dem Kollegen Hermann Schneider Kontakt, kenne natürlich auch viele Regisseurinnen und Regisseure, die am Landestheater Linz inszenieren. Georg Schmiedleitner ist natürlich jemand, den ich sehr gut kenne. Und ich habe mich gefreut, dass der Martin Plattner, einer meiner Hausautoren, schon zweimal am Linzer Landestheater gespielt wurde.

Wie halten Sie es mit dem Verhältnis zwischen Kunst und Kommerz?

Wir machen Theater für das Publikum. Es ist wichtig, bekannte Stücke, die ja nicht umsonst erfolgreich sind, immer wieder zu präsentieren. Wir haben einen gewissen Auslastungsdruck, kriegen Unterstützung, um zu produzieren und müssen natürlich etwas einspielen. Man muss allerdings in Zeiten wie diesen auch aufpassen, dass nicht alles zu gefällig wird, und wir uns nicht in unseren neuen biedermeierlichen Wohlfühlzustand verkriechen. Operetten etwa sind — freilich verpackt in eine gewisse Niedlichkeit — total gesellschaftskritisch gedacht. Es darf auch etwas Verstörendes geben, etwas, das weh tut und irritiert, mit Gedanken konfrontiert, die man nicht will, und gleichzeitig soll es dann auch wieder wirklich gute Unterhaltung geben. Und Letztere ist bekanntlich gar nicht so einfach zu machen.

Von Bozen nach Innsbruck. Sie kommen Ihrer Heimat näher. Wäre es vorstellbar oder auch ein Wunsch, irgendwann einmal als Intendantin ans Linzer Landestheater zu kommen?

Sag niemals nie, aber ich will da jetzt keine falschen Ambitionen von mir kundtun. Ich freue mich jetzt einmal wahnsinnig auf die Herausforderung in Innsbruck und sehe dort meine künstlerische Heimat für die nächsten Jahre. Aber natürlich ist das Landestheater in Linz ein absolut attraktives Haus, wer weiß, wo es mich noch überall hin verschlägt. Es ist jedenfalls nimmer so wie damals, als ich mit 18 von Linz weggegangen bin und nicht gewusst habe, ob ich noch einmal herkomme. Oberösterreich hat eine super Kulturszene, wo man viel schauen und mitnehmen kann.

Was halten Sie davon, dass die österreichische Schauspielszene sehr deutsch geprägt ist?

Das ist ein großes Thema generell in Österreich. Prinzipiell sollte es mittlerweile so sein, dass man sich darüber gar nicht mehr so Gedanken macht — im Sinne eines europäischen Gedankens und auch eines diversen. Faktum ist aber auch, dass wir in Österreich natürlich eine gewisse Theaterliteratur und Theaterliebhaberei haben, was ganz wichtig ist und auch unsere kulturelle Identität ausmacht. Und wir haben auch ganz tolle Schauspielerinnen und Schauspieler, die auch Chancen kriegen sollen.

Mit IRENE GIRKINGER sprach Melanie Wagenhofer

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