„Bach war bei uns zuhause kein Thema“

Michi Gaigg, Leiterin des L'Orfeo Barockorchesters, über ihren Werdegang, ein Jubiläum & Corona

Michi Gaigg
Michi Gaigg © Waltraud Dandler

Mitten in die Coronazeit platzte die Nachricht von der Zuerkennung des Würdigungspreises der Stadt Linz an die Leiterin des L’Orfeo Barockorchesters, Professor Michi Gaigg. Für die international renommierte Expertin für Alte Musik wird die offizielle Verleihungsfeier allerdings erst im Frühjahr 2021 stattfinden können. Bis dahin nützte das VOLKSBLATT die Zeit für ein Interview.

VOLKSBLATT: Sie leben in Ihrem Elternhaus in Schörfling am Attersee, das viele kostbare Antiquitäten beherbergt. Hat diese inspirierende Atmosphäre für Ihren Werdegang eine Rolle gespielt?

MICHI GAIGG: Eigentlich nicht, denn bei uns war die Barockzeit überhaupt kein Thema. Zugang fand ich allmählich, wobei mich dann ausgerechnet Bach so berührt hat und ich es als ein Geschenk empfinde, dass ich diesen Weg gehen durfte und heute die Alte Musik mein Leben bestimmt.

Wie hat alles begonnen?

Es war das Erlebnis einer Aufführung von J. S. Bachs „Matthäus-Passion“, das mich in die Vorstellung von einer neuen Klangwelt führte. Auslöser war der unumstrittene Meister Alter Musik Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus, mit dem ich Orchestersuiten von Bach vom Medienverlag Bertelsmann in die Hand bekam und quasi wachgerüttelt wurde. Harnoncourt wurde natürlich zu meinem Vorbild, und ich besuchte auch seine Vorlesungen am Mozarteum schon ab dem 16. Lebensjahr mit dem Abschluss der Pädagogik und des Orchester-Diploms.

Nach der Matura in Vöcklabruck ging das Studium des Geigenspiels weiter. Das erste Mal hatten Sie 1978 eine Barockgeige in der Hand und verliebten sich in ihren Klang, mussten aber technisch dazulernen. Das historische Instrument unterscheidet sich ja völlig von den gebräuchlichen Geigen in der Bauweise und durch die Bespannung mit Darmsaiten.

Das richtige Gefühl dafür hat mir Glück gebracht. Ich ging zur Weiterbildung ins Ausland, zunächst nach Deutschland. Die Erfahrungen in München, wohin meine Kontakte seit 1983 bis heute bestehen, führten mich bald zum Ensemblespiel bis zur Konzertmeisterin und in der Folge zur Gründung meines ersten Orchesters. Die ersten fünf Jahre meiner Karriere habe ich nur in Deutschland gespielt. Auch London wurde zur bedeutenden Weiterbildungsstätte, etwa das berühmte London Baroque, weiters musizierte ich in Holland, Straßburg, Spanien, Frankreich oder Rom.

Und wann erfolgte der Sprung auf das Podium?

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Das hat sich auch durch die Erweiterung des Repertoires mit meinem 1996 ins Leben gerufenen L’Orfeo Barockorchester ergeben. Der Umfang reicht vom Frühbarock, da noch keine Pultbesetzung üblich war, bis zur klassischen Epoche und beinhaltet Mozart, Schubert, Mendelssohn etc., von deren Werken es auch Tonträger gibt. 2021, unser 25. Bestandsjahr, sind wir schon bei der Zahl 40. Ich dirigiere mein Ensemble in der Stammbesetzung von 20 Musikern und wenn nötig bis zu 45 Musiker als prima inter pares.

Müssen Sie Mitglieder etwa durch private oder berufliche Umstände austauschen oder ist das Ensemble fix, immerhin geht es um ein gemeinsames Vierteljahrhundert?

Kaum wer geht weg, viele kommen wieder. Wir sind fest zusammengeschweißt. Die Arbeit funktioniert ganz wunderbar, wir lernen miteinander, voneinander und füreinander. Das zeigt sich allein in den Proben, wo viel Wichtiges passiert, die Distanz zwischen Bühne und Graben für mich zu überwinden und die Resonanz bei L’Orfeo zu spüren ist. Viele Künstler haben ich oder die Ensemble-Mitbegründerin Carin van Heerden auf der Oboe ausgebildet, was sicher vorteilhaft ist.

Sie haben von 1993 bis 2017 an der Bruckneruni das Fach Alte Instrumente unterrichtet, diese Universität ist die eigentliche Geburts- und Brutstätte von L’Orfeo. Geben Sie noch Privatstunden?

Nein, die Dirigiertätigkeit und organisatorische Pflichten bei L’Orfeo füllen mich voll aus. Derzeit planen wir fest für hoffentlich bald mögliche Konzerte und Gastspiele im Jubiläumsjahr, es probt jeder bei guter Gesundheit und wir waren auch produktiv mit CD-Einspielungen. Schon am 19. Jänner sollen wir ein Abo-Konzert in Wels spielen, für den 10. März haben wir ein Passionsoratorium einstudiert, unser Jubiläumskonzert im Brucknerhaus ist für den 3. Mai terminisiert, am 4. Mai sind wir im Wiener Musikverein zu Gast.

Gibt es freie Zeiten und Hobbys für Michi Gaigg?

Zu tun gibt es viel im Haus und noch mehr für die Musik. Ich übe täglich auf meiner „Prinzessin“, wie die Königin der alten Musik ihre Barockgeige nennt, studiere Partituren und spiele manchmal auf dem alten Bösendorfer Flügel. Wenn mich die Musik loslässt, mache ich Gartenarbeit, gehe Wandern oder Skilaufen. Reisen würde ich heuer zu den Feiertagen gerne nach Südafrika, wo meine Tochter als Tierärztin arbeitet, die ich leider auch ohne Corona nur wenig sehen kann.

Mit MICHI GAIGG sprach Georgina Szeless

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