Bedenkliche Gedenkkultur

Trotz Verbot können sich im ehemaligen KZ Mauthausen Extremisten verewigen

Auch die von einem Antisemiten gegründete Milli Görüs-Bewegung ist im KZ verewigt.„Free Palestine

Auch 76 Jahre danach weckt die Aura des Grauens Gefühle, die ausgedrückt werden wollen. „Bei vielen Besuchern merken wir das Bedürfnis, etwas zu hinterlassen“, sagt Gudrun Blohberger, pädagogische Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

Doch man ist auf der Hut an dem Ort, wo zwischen 1938-45 rund 90.000 Menschen zu Tode geschunden wurden. Wenn die Gedenkstätte nicht wie auch am heutigen Holocaust-Gedenktag Lockdown-bedingt geschlossen ist, werden die in aufliegende Tablets getippten Botschaften auf bedenkliche Inhalte gecheckt, ehe sie auf einer Projektionstafel aufpoppen.

In den analogen Besucherbüchern finden sich zahlreiche überklebte Seiten, auf die „Heil Hitler“ oder sonstiger brauner Hirnmüll gekritzelt wurde. Zehn bis 15 Mal im Jahr werde wegen Verstößen gegen das Verbots- oder Symbolegesetz Anzeige erstattet, so Blohberger.

Türkische Inschriften

Umso verwunderlicher der Umgang mit anderen Botschaften. Im einstigen Arrestgebäude und im Duschkeller sind die Wände übersät mit Graffiti, deren Anbringen eigentlich verboten ist. Manche stammen von Angehörigen früherer Häftlinge, die so ihren Besuch dokumentierten.

Nicht wenige aber symbolisieren extremistische Inhalte. Neben dem serbischen Tschetnikkreuz finden sich der Schriftzug der islamistischen „Milli Görüs“, die „Drei Halbmonde“ der rechtsextremen türkischen MHP-Partei, das Kürzel der marxistischen Terrororganisation PKK und die antiisraelische Parole „Free Palestine“.

„Milli Görüs“ ist eine Gründung des Islamisten Necmettin Erbakan, der seine Jünger lehrte, dass die Juden die Welt regieren. MHP-Gründer Alparslan Türkes drohte den Kurden mit Ausrottung und erfand die „Grauen Wölfe“, die hier im KZ nicht nur einmal den verbotenen Wolfsgruß zeigten. Rechts- und Linksextremisten eint der Antisemitismus: Auch PKK- Führer Abdullah Öcalan irrlichterte oft antisemitisch. Er schreibt sogar die kurdenfeindliche Politik der Türkei jüdischem Einfluss zu.

Die auf diese Gruppen Bezug nehmenden Graffiti werden jedoch nicht entfernt, sondern hinter Glaswänden geschützt und mit kurzen Erklärtexten versehen zu einem „Teil der Geschichte der Gedenkstätte“, wie es auf einer Erklärtafel heißt. „Auf diese Weise sollen BesucherInnen zur kritischen Auseinandersetzung … angeregt werden, anstatt durch Löschung so zu tun, als würde es solche Standpunkte nicht geben“, so die Bundesanstalt Mauthausen Memorial zum VOLKSBLATT. Diese Auseinandersetzung wird freilich mit verharmlosenden oder nicht vorhandenen Erläuterungen kaum gefördert. Die „Grauen Wölfe“ etwa sind nicht, wie beschrieben, „eine rechtsextreme Gruppierung in der Türkei“, sondern wie „Milli Görüs“ europaweit aktiv.

„Solche Graffiti haben dort nichts zu suchen“, findet der Historiker Franz Schausberger. Sie seien „ein Affront, eine tiefe Kränkung und Verletzung der noch lebenden und Nachfahren der KZ-Opfer“, so der Präsident des Dr. Karl-Vogelsang-Institutes und ehemalige Salzburger Landeshauptmann. Zur historisch-didaktischen Aufarbeitung solle man die Graffiti fotografieren, dokumentieren und archivieren.

Entfernen zu teuer?

Für Gudrun Blohberger ist es „nachvollziehbar zu sagen, das sei an einer Gedenkstätte unangemessen“. Sie glaubt aber, dass „unser Weg auch Vorbild sein könnte für andere, mit ähnlichen Problemen konfrontierte Gedenkstätten.“ Sie verweist auch auf hohe Kosten, die Restaurierungsarbeiten am historischen Gemäuer verursachen.

Dass die Graffiti „der Würde des Ortes nicht angemessene Aktivitäten“ sind, findet auch Willi Mernyi. Was die Frage des Entfernens angeht, verweist der Chef des Mauthausen-Komitees aber auf die Bundesanstalt Mauthausen Memorial. Deren Pädagogische Leiterin Blohberger schließt ein Umdenken zumindest nicht aus: „Gedenkstättenarbeit entwickelt sich ständig weiter. So ist es auch bei den Graffiti ein Prozess.“

Von Manfred Maurer

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