Begegnung mit Martin Schläpfer

Staatsoper: Ballett-Premiere zu Gustav Mahlers „4“ kam via Stream ins Haus

Mit „Mahler, live“ stellte sich Martin Schläpfer als neuer Direktor des Wiener Staatsballetts vor. Hier im Bild: Claudine Schoch und Marcos Menha
Mit „Mahler, live“ stellte sich Martin Schläpfer als neuer Direktor des Wiener Staatsballetts vor. Hier im Bild: Claudine Schoch und Marcos Menha © ORF/Wiener Staatsballett/Ashley Taylor

Unglaublich, wie rasant sich die Welt verändert hat. Wer hätte das je für möglich gehalten, dass man vor seinem Computer oder seinem Laptop sitzt, auf sein Tablet oder sein Smartphone sieht oder, wenn man ein Gerät mit dem Fernsehapparat verbunden hat, auf den Bildschirm blickt – um eine Premiere der Wiener Staatsoper per Stream zu erleben.

Es wird nicht die einzige bleiben, auch Henzes Oper „Das verratene Meer“ wird uns am 15. Dezember solcherart erreichen.

Ballettdirektor gibt spannenden Einstand

Davor ging es aber darum, am Freitagabend endlich den neuen Ballettdirektor der Staatsoper mit einem eigenen Werk zu erleben, mit einer für das Haus gestalteten Uraufführung. Der Schweizer Martin Schläpfer hat sich für Gustav Mahler entschieden: „4“ deutet schlicht und einfach darauf hin, dass er die einstündige Symphonie Nr. 4, ein Werk der Jahrhundertwende um 1900, umsetzt – und das mit mehr als hundert Tänzern, die nicht namentlich aufgeführt werden.

Tatsächlich wollte der Choreograf, wie er in Interviews sagte, hier zu Beginn eben mit dem ganzen Ensemble arbeiten, wobei aus dem Kollektiv doch immer wieder Einzelpersönlichkeiten, vor allem aber Paare hervortreten.

Eine Stunde ist für ein durchgehendes Werk lang, wenn man keine Geschichte erzählt, und das tut Schläpfer sozusagen programmatisch nicht. Aber er reagiert auf die Musik, er geht mit ihr oder handelt bewusst gegen sie, und das ergibt immer wieder spannende Momente. Bruchlos mischt er klassische Movements, Modern Dance und einen gelegentlich grotesken Bewegungskanon, um aus Mahlers lockerer, aber absolut hintergründiger Musik emotionale Widersprüche herauszuarbeiten.

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Seine Handschrift ist nicht immer leicht zu „lesen“, aber jedenfalls immer interessant und abwechslungsreich. Dazu agierte Axel Kober (der bei Schläpfers vorangegangenem Engagement an der Deutschen Oper am Rhein sein „Chef“ gewesen war) souverän am Pult des Orchesters, das natürlich wie selbstverständlich nicht nur Oper, sondern auch eine Mahler-Symphonie spielt.

Um die Aufführung zu einem abendfüllenden Ereignis zu ergänzen, konnte Schläpfer den greisen Hans van Manen gewinnen, seine legendäre Choreografie „Live“ zu Klaviermusik von Liszt (am Flügel: Shino Takizawa) für Wien und die Staatsoper „anzupassen“.

Denn vor mehr als 40 Jahren hat van Manen (als noch nicht jeder Regisseur Bildschirme auf die Bühne stellte) das erste „Video-Ballett“ der Geschichte geschaffen – ein vielschichtiges Vexirbild zwischen Tänzerin (die elegante Olga Esina), Tänzer (Marcos Menha), der Staatsoper als Handlungsort über die Bühne hinaus und, genau so wichtig wie alle anderen, dem Kameramann (Henk van Dijk). Sicher ist der Effekt heute nicht mehr so verblüffend, aber als geschmeidiges Gesamtkunstwerk immer noch faszinierend genug.

Seltsam, einen solchen Abend nicht „live“ zu erleben, aber alle hatten sich entschlossen zu agieren, als spielten sie nicht vor leerem Haus. So galten die Verbeugungen wohl dem Publikum zuhause, man spielte auf „echt“, man spielte „Wir lassen uns nicht unterkriegen“. Man spielte: „Jetzt geht es nicht anders, aber wir sehen uns wieder.“

Der Abend wird morgen am Feiertag um 9.05 Uhr in ORF 2 zu sehen sein und ist noch bis 4. März 2021 auf Arte Concert online abrufbar.

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