Berufsbezeichnung Suchmaschinenkünstlerin

Linzer Francisco Carolinum zeigt starke Positionen von zeitgenössischen Künstlerinnen

Gretchen Andrew, Map of the EU (paris), 2021
Gretchen Andrew, Map of the EU (paris), 2021 © Gretchen Andrew

Blümchen und andere süße Staffage, hinter der sich eine geniale Manipulation von Google verbirgt, eine Kuppel, die auf besondere Art verbindet. Zeitgenössische feministische Positionen präsentiert derzeit das Linzer Francisco Carolinum.

Mit demnächst vier zeitgleich laufenden Ausstellungen zu weiblicher Kunst in der Stadt sieht Alfred Weidinger, Direktor der OÖ Landes-Kultur Gmbh, Linz landesweit an der Spitze: „Linz ist derzeit die wichtigste Stadt in Österreich, die Kunst von Frauen verhandelt.“ Eine Tür, die noch weiter geöffnet werden sollte: Nur zwei Prozent der Werke auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt stammen von Frauen.

Spiel mit Klischees und dem Internet

Die US-Amerikanerin Gretchen Andrew (Jg. 1988) — kein Künstlername — erscheint zur Präsentation ihrer Ausstellung „Trust Boundary“ (zu Deutsch Vertrauensgrenze) in einem ausladenden hellblauen Kleid, das mit Blümchen übersät ist. Lieblich, fast kitschig der Eindruck, auch wenn man ihre Bildercollagen dann sieht.

Andrew bringt ihre Wünsche auf die Leinwand. Diese „Vision Boards“, die sie mit Heißklebepistole mit Kunstblumen, Stickern und Ansichtskarten spickt, zeigen etwa ihren Wunsch, es auf die Titelseite der New York Times zu schaffen. Die Künstlerin, die Informatik studiert und für Google gearbeitet hat, realisiert ihn dann über die digitale Welt: Wenn man die Titel ihrer Werke dort als Suchbegriff eingibt, werden sie ganz weit oben gereiht ausgeworfen. Ein Beispiel: Unter „NYTimes Art“ findet man in Google Andrews Bilder — „reale Presseberichterstattung“ folgte.

Gretchen Andrew — Suchmaschinenkünstlerin, wie sie sich selbst bezeichnet — nutzt künstliche Intelligenz dafür, ihre Wünsche und Träume wahr werden zu lassen, manipuliert das Internet mit Gefühlen und Knowhow, spielt mit verschiedenen Realitätsebenen.

Einen Teil der Arbeiten hat die Künstlerin in Linz produziert, wo sie drei Monate im Salzamt gewohnt und gearbeitet hat. Unter anderem jene Spiegel, mit denen sich der Besucher im Hier und Jetzt verortet, sich bewusst machen kann, ein Teil vom großen Ganzen zu sein und als solcher auch etwas bewegen zu können. Politische Fragen fließen mit einer von Andrew gestalteten Karte der EU ein, die sich damit beschäftigt, was alles dazu gehört, wie Grenzen verlaufen. Zu finden im Internet unter „Map of the EU“. Mit all dem zeigt die Künstlerin auch, dass der Mensch immer noch über die Informationshoheit verfügt: „Künstliche Intelligenz basiert auf dem, was war, warum nicht unsere Welt mit dem Füttern, was wir haben wollen?“ motiviert sie zum Weiterdenken. Ihren Arbeitsprozess erklärt die Umtriebige in einem Video.

In einer Box können die Besucher der Ausstellung eigene Wünsche schriftlich hinterlassen und in einem Raum im Stil von Andrew eine Installation mit ihren Visionen mitgestalten. Letzte Woche hat sich übrigens Ai Weiwei hier eingebracht. „Gretchens Waffe ist die Klebepistole, ihr Instrument das Internet“, sagt Kuratorin Inga Kleinknecht.

Hierarchien aufbrechen und Grenzen überwinden

Medienkünstlerin Anna Ehrenreich, 1993 als Kind albanischer Einwanderer in Deutschland geboren, beschäftigt sich in ihren Arbeiten in der Ausstellung mit dem Titel „Tools for Convivality“ mit Migration, hinterfragt in diesem Zusammenhang die Beziehung von Politik und Kultur oder Migration und vernetzten Bilderwelten, aber auch technische Entwicklungen. Entstanden sind futuristisch anmutende Installationen, Fotografien, Acryl- und Textilskulpturen und Videos in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern mit migrantischem Hintergrund in der senegalesischen Hauptstadt Dakar. „Es hat mich geärgert, dass Migration immer nur von Süden nach Norden und von Osten nach Westen gesehen wird“, sagt Ehrenreich. Dabei fänden etwa in Afrika 85 Prozent der Migration binnenkontinental statt. Sie habe nach Gegenmöglichkeiten zum „Boarder-Regime“ gesucht und versucht, Hierarchien aufzubrechen. Es gebe niemals — auch nicht in der digitalen Welt — einen neutralen Blick, sondern immer Vorurteile und Richtungen, aus denen eine Beurteilung vorgenommen werde. Verschiedene Dinge erzählen auf der ganzen Welt etwa von Migration, unabhängig von Entfernung entstünden Muster. Mit einer sogenannten Geodätischen Kuppel greift Ehrenstein die Idee auf, mit Architektur die Gesellschaft zum Positiven zu verändern: Im Inneren kann sich der Besucher auf „Cuddle Slugs“ („Kuschelige Nacktschnecken“) von Sunny Pfalzer niederlassen und ein 360-Grad-Video verfolgen.

Beide Ausstellungen sind bis 27. Februar 2022 zu sehen.

Von Melanie Wagenhofer

Das könnte Sie auch interessieren