Bidenstraße versus Seidenstraße

„Uncle Joe“ zwingt Europa auf die nette Tour zum Offenbarungseid im globalen Ränkespiel

Die Europäer (links EU-Kommissionschefin von der Leyen, rechts Ratspräsident Michel) sind erleichert über Joe Bidens neuen Kuschelkurs, den es aber nicht ganz umsonst geben wird.
Die Europäer (links EU-Kommissionschefin von der Leyen, rechts Ratspräsident Michel) sind erleichert über Joe Bidens neuen Kuschelkurs, den es aber nicht ganz umsonst geben wird. © AFP/Tribouillard

„Wir sind in einem globalen Wettbewerb um unser Lebensmodell.“ Außenminister Alexander Schallenberg brachte es am Mittwoch bei der Globsec-Konferenz in Pressburg (Bratislava) auf den Punkt.

Denn genau darum geht es derzeit — und Europa hat in diesem Wettbewerb nur einen Mitspieler, dem es wertemäßig eng verbunden ist: die USA.

Die große Erleichterung

Es ist also nachvollziehbar, dass erst die Kür Joe Bidens zum US-Präsidenten und nun sein ausgiebiger Antrittsbesuch in Europa fast euphorische Gefühle auslösten.

Make love...: First Lady Jill Biden illustrierte mit ihrem Outfit das Streben nach Wiederbelebung der transatlantischen Freundschaft.
Make love…: First Lady Jill Biden illustrierte mit ihrem Outfit das Streben nach Wiederbelebung der transatlantischen Freundschaft. ©AFP/Melville

Nach den vier finsteren Trump-Jahren, in denen zum ersten Mal in der Geschichte ein US-Präsident Zweifel an seiner Verortung im westlichen Wertekanon aufkommen hatte lassen, ist die Erleichterung groß. Da ist endlich wieder einer im Weißen Haus, der zumindest so ähnlich tickt wie wir hier auf der anderen Seite des Atlantiks, der den freiheitlich-demokratischen Grundkonsens nicht mehr infrage stellt, den Europäern auf Augenhöhe und nicht von oben herab begegnet und sich dem Multilateralismus verpflichtet fühlt.

Liebesbotschaft

Gar nicht zufällig hatte First Lady Jill Biden gleich zum Auftakt der Europa-Tour in Cornwall einen Blazer mit dem Schriftzug „LOVE“ getragen: „Wir bringen Liebe aus Amerika mit.“ Amerikaner neigen halt zum dicker Auftragen. Aber die Wiederbelebung des transatlantischen Wir-Gefühls beschränkte sich erfreulicherweise nicht auf die emotionale Ebene. Tatsächlich konnten einige Streitpunkte ausgeräumt werden: Das Strafzollkriegsbeil wurde zwar nicht ganz begraben, aber mit dem Aussetzen der gegenseitigen Zollsanktionen bei Flugzeugen, Wein oder Ketchup (jedoch nicht bei Aluminium und Stahl) wesentlich entschärft.

Bidens Entgegenkommen ist freilich weniger als Wiedergutmachung für Trumps Chaosjahre zu verstehen, sondern als nüchterne Konsequenz aus einer Einsicht, zu der sein Vorgänger nicht fähig war: Wer „America great again“ machen und im globalen Machtgerangel die Oberhand behalten will, braucht Verbündete.

Europa vor Bidens Karren?

Und in diesem Punkt werden auch schon erste Schatten auf dem nicht nur von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bejubelten „neuen Kapitel in den transatlantischen Beziehungen“ sichtbar. Denn der US-Präsident will Europa vor seinen Karren spannen, um Russland, vor allem aber China Paroli zu bieten.

Die auf Bidens Initiative beim G-7-Gipfel beschlossenen Infrastruktur-Offensive in ärmeren Ländern ist eine Kampfansage an Chinas „Neue Seidenstraße“, die Peking als hegemoniale Einbahnstraße konzipiert hat: Das KP-Regime verschafft sich mit Investitionen globalen Einfluss — mittlerweile bis mitten in die EU hinein, wie das Beispiel Ungarns zeigt.

Spannend wird — angesichts des infrastrukturellen Nachholbedarfs sowohl in den USA als auch in Europa — nicht nur die Frage, wer das „Bidenstraßen“-Projekt finanzieren wird, sondern vor allem, wie sehr die Europäer gewillt sind, bei der angestrebten Konfrontation zu mitzumachen. In der Einschätzung der Herausforderungen mag man sich durchaus einig sein: Wladimir Putins Russland ist ein Störenfried, den die Europäer schon wegen der Geografie mehr fürchten müssen als die USA.

Und China ist nicht nur wegen seiner hegemonialen Bestrebungen im asiatischen Raum eine „systemische Herausforderung“, wie man sich beim Nato-Gipfel einig war, sondern insbesondere wegen des vor einiger Zeit noch für unmöglich gehaltenen Phänomens einer erfolgreichen Kombination aus Diktatur und ökonomischem Aufstieg.

Dass China — für Staaten entlang der „Neuen Seidenstraße“ — zum Modell wird, ist weder im Interesse der USA, noch Europas. Allerdings geht es die EU lieber etwas weniger forsch an als die USA, deren neuer Präsident nur im Ton konzilianter ist als sein erratischer Vorgänger.

Die europäische Zurückhaltung resultiert natürlich nicht zuletzt aus dem Faktum, dass China die USA im vergangenen Jahr als wichtigster Handelspartner der EU abgelöst hat. Europas Autoindustrie läge ohne China-Geschäft am Boden. Das nimmt die Lust auf politische Muskelspiele und damit auch das Interesse an der großen Konfrontation an Bidens Seite. Dennoch darf Europa nicht vergessen: Es geht tatsächlich gerade um unser Lebensmodell…

Eine Analyse von Manfred Maurer

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