Caritas zählt „zehn Prozent mehr Erstkontakte“

Direktor Franz Kehrer im Interview über die Auswirkungen von Ukraine-Krieg, Teuerungen und Inflation auf die Arbeit der Caritas OÖ

In der Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine ortete Caritas-OÖ-Direktor Franz Kehrer ein „riesiges Statement der österreichischen Zivilgesellschaft“.
In der Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine ortete Caritas-OÖ-Direktor Franz Kehrer ein „riesiges Statement der österreichischen Zivilgesellschaft“. © Caritas/Wakolbinger (2), APA/Steinkaurer

Die Caritas OÖ ist in schwierigen Zeiten wie diesen ganz besonders gefordert, wie Direktor Franz Kehrer im VOLKSBLATT-Interview schildert.

VOLKSBLATT: Im Moment geht eine Krise in die nächste über — von Corona über den Ukraine-Krieg zur Inflation und der Teuerungsflut. Welche Auswirkungen hat das alles auf die Arbeit der Caritas?

FRANZ KEHRER: Wir sind sehr gefordert, weil wir Multi-Problemlagen haben. Zunächst hat uns die Pandemie in unseren Einrichtungen besonders stark betroffen, da wir ja vulnerable Gruppen betreuen, deren Schutz eine große Bedeutung zukam. Kaum ist das heuer im Frühjahr ein bisschen abgeebbt, hat der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen durchgeschlagen. Bei diesen Krisen ist die Hilfe weit über „nur Spenden sammeln“ hinausgegangen.

„Ein riesiges Statement der Zivilgesellschaft“

Was hat die Fluchtwelle aus der Ukraine für die Caritas bedeutet?

Da hat es zum Glück eine große Solidaritätswelle gegeben — mit freiwilligem Engagement oder mit Wohnraum, der zur Verfügung gestellt wurde. Das war ein riesiges Statement der Zivilgesellschaft, ohne die wir die vielen Menschen aus der Ukraine nicht so schnell versorgen und unterbringen hätten können. Dabei hat sich auch wieder bestätigt: Je näher in der Nachbarschaft Not herrscht, um so größer ist die Hilfsbereitschaft.

Bleibt die aktuelle Teuerungswelle?

Diesbezüglich fühlt es sich an, als ob wir vor der Ruhe vor dem Sturm stehen. Denn die ganz starken unmittelbaren Auswirkungen und Preiserhöhungen kommen jetzt immer mehr bei der Bevölkerung an. Bereits erfolgte staatliche Leistungen, zum Beispiel die Sonderzahlungen der Familienbeihilfe, entlasten die armutsbetroffene Bevölkerung zumindest temporär. Dennoch werden wir als Staat noch ganz viel Geld brauchen, um das abzufedern.

Das heißt, Sie befürchten, dass da noch ganz massiv etwas auf uns als Gesellschaft zukommt?

Ja, denn die Auswirkungen im Bereich Energie und Wohnen sind so gravierend. Die Menschen, die unsere Beratung in Anspruch nehmen, kommen derzeit mit billigeren Lebensmitteln und Einkäufen in Sozialmärkten noch irgendwie über die Runden. Aber wie sollen sich die jetzt eine Strom-Nachzahlung von 600, 700 oder 800 Euro leisten?

„Über 1000 Beratungen mehr als im Vorjahr“

Schlägt sich das schon nieder?

Ja, wir hatten im ersten Halbjahr schon 13.000 Beratungen und damit über 1000 Beratungen mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl der Erstkontakte ist um zehn Prozent gestiegen. Und bei den Auszahlungen merkt man, dass 100 Euro kaum mehr helfen, sondern selbst 150 oder 200 Euro nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.

Was bedeuten die aktuellen Preissteigerungen — in allen Bereichen — für die Caritas?

Wir sind in allen unseren Einrichtungen, auch in unseren Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen oder unseren Schulen, natürlich genauso von steigenden Strom- oder Heizkosten stark betroffen.

„Freiwillige wieder aktivieren ist Herausforderung“

Wirken sich die Krisen auch auf das Spendenaufkommen aus?

Das Bild ist noch etwas verschwommen, weil durch den Ukraine-Krieg bisher heuer sogar mehr gespendet wurde. Wie sich das im Herbst, wenn wir für Menschen im Inland sammeln, sein wird, lässt sich noch nicht prognostizieren. Es wird aber sicher Menschen geben, die nicht mehr spenden können, gleichzeitig erleben wir zum Glück aber auch, dass Menschen, die es sich leisten können, ein wenig mehr geben also sonst.

Wie haben sich die Krisen auf die freiwilligen Helfer ausgewirkt? Ist es schwieriger geworden, diese zu finden?

Auf der einen Seite gab es die Solidaritätswelle mit den Flüchtlingen aus der Ukraine, auf der anderen Seite gab es zum Beispiel starke Besuchs-Beschränkungen in Einrichtungen für Senioren oder Behinderte. Da die Freiwilligen wieder zu aktivieren, ist derzeit ebenfalls eine Herausforderung.

„Gibt Zusammenrücken in der Gesellschaft“

Wie würden sie derzeit den Zusammenhalt in der Gesellschaft bewerten. Am Anfang der Corona-Pandemie hatte man das Gefühl, dass sich die Leute solidarisieren und wieder mehr aufeinander schauen. Wie hat sich das entwickelt, wo stehen wir?

In der Großstadt im Wohnblock ist die Situation sicher anders als auf dem Land, deshalb ist es pauschal gesprochen schwierig. Aber vom Bauchgefühl würde ich meinen, dass es schon ein kleines Zusammenrücken in der Gesellschaft gibt.

Außer in den sozialen Medien?

Dort gibt es massive Blasenbildungen, wodurch andere Meinungen ausgeblendet werden. Dort wird es notwendig sein, die Anonymität aufzuheben, gesetzliche Standards zu entwickeln, um dem Hass im Netz entgegenzuwirken. Es gibt ja auch für gedruckte Medien entsprechende Vorgaben.

„Kooperieren stärker mit der Wirtschaft“

Die Caritas hat ja vielfältige Aufgaben, wie verändern sich diese im Wandel der Zeit?

Es ist ein schönes Beispiel der Veränderung, dass wir seit einigen Jahren viel stärker mit der Wirtschaft, mit sehr namhaften Betrieben kooperieren, um Menschen mit Beeinträchtigung in Jobs zu bringen. So bildet zum Beispiel Spar Langzeitarbeitlose oder Jugendliche mit Beeinträchtigung zum Einzelhandelskaufmann aus.

Und im Bereich der Pflege?

Es gibt in der stationären und in der mobilen Pflege Personalengpässe. Deshalb versuchen wir Menschen so lange wie möglich in ihrem Umfeld zu unterstützen, durch Freiwilligenarbeit und durch die Unterstützung von pflegenden Angehörigen, ein Bereich, der ausgebaut werden müsste.

„Betreuungsschlüssel gehört verändert“

Abschließend: Welche Wünsche hätte der Caritas-Direktor an die Politik?

Dass den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung getragen wird. Also dass der Betreuungsschlüssel zum Beispiel in Pflegeheimen geändert wird, weil die Bewohner-Struktur sich verändert hat. Mittlerweile gibt es wesentlich mehr Demenz- erkrankte in Pflege und man kommt nur noch mit Pflegestufe vier in ein Heim, wodurch sich die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter stark verändert hat.

„Kilometergeld anheben“

Und sonst?

Auch in der Kinderbetreuung braucht es eine Änderung des Betreuungsschlüssels als Signal an die Mitarbeiterinnen und damit nachhaltige strukturelle Verbesserungen zur Attraktivierung des Berufes. Ferner belasten die hohen Spritpreise die Mitarbeiter, die unterwegs sind, um Menschen zu Hause zu betreuen, enorm. Daher wäre eine Anhebung des amtlichen Kilometergeldes dringend notwendig, damit der hohe Spritpreis abgegolten wird.

Zudem würden wir uns einen Bürokratieabbau wünschen, während Corona hat diese Belastung durch diverse Dokumentationsvorgaben nämlich sogar zugenommen.

Mit Caritas-OÖ-Direktor FRANZ KEHRER sprach Roland Korntner

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