Eineinhalb Jahre für vier Schüsse auf engen Freund

Der Angeklagte wurde gegen 21.30 Uhr zurück in seine Zelle gebracht © APA/HERBERT NEUBAUER

Weil er mit einer im Internet gekauften Pistole der Marke Browning, Kaliber 6,35 Millimeter vier Schüsse auf einen langjährigen engen Freund abgegeben hatte, ist ein 24-Jähriger am Freitagabend am Wiener Landesgericht zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Anklage wegen versuchten Mordes verwarfen die Geschworenen einstimmig. Sie gingen von Putativnotwehr aus und sprachen den Angeklagten wegen grob fahrlässiger Körperverletzung schuldig.

Der Angeklagte und sein Verteidiger Mirsad Musliu hatten sich mit Notwehr verantwortet. Die Geschworenen kamen nach mehrstündiger Beratung zum Schluss, dass die Steckschüsse in die linke Wade, den linken und den rechten Oberschenkel sowie ein Streifschuss gegen die Hüfte an sich den Tatbestand der absichtlichen schweren Körperverletzung erfüllt hätten. Dem 24-Jährigen wurde jedoch zugebilligt, irrtümlich von einem vermeintlich gegen ihn gerichteten Angriff ausgegangen zu sein und deshalb geschossen zu haben. Folglich wurde er wegen grob fahrlässiger Körperverletzung (§88 Absatz 4 StGB) sowie Verstoßes gegen das Waffengesetz – er besaß die Pistole illegal – verurteilt.

Bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren erschienen dem Schwurgericht 18 Monate tat- und schuldangemessen. Erschwerend waren vier Vorstrafen sowie der rasche Rückfall nach der letzten vorangegangenen Verurteilung, mildernd eine „gewisse Provokation durch das Opfer“, wie die vorsitzende Richterin in der Urteilsbegründung ausführte. Das Urteil ist bereits rechtskräftig. Der 24-Jährige nahm die Strafe an, die Staatsanwältin verzichtete ebenfalls auf Rechtsmittel.

Der 24-Jährige hatte in der Verhandlung erklärt, sein früherer enger Freund Opfer habe ihn in der Nacht auf den 13. Juni 2023 bei einem zufälligen Zusammentreffen am Paltramplatz in Favoriten angegriffen. Er habe sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, als zu der Waffe zu greifen, die er sich aus Angst vor dem 28-Jährigen besorgt hätte. Er sei nach der Entlassung des 28-Jährigen aus der Justizanstalt (JA) Stein, wo dieser wegen häuslicher Gewalt eine empfindliche Freiheitsstrafe abgesessen hatte, von diesem massiv bedroht worden.

Der 28-Jährige soll dem Angeklagten vorgeworfen haben, sich während seiner Inhaftierung seinen Hund unter den Nagel gerissen und außerdem der Justiz verraten zu haben, dass dieser im Gefängnis ein illegales Handy besaß. „Ich glaube, er hat auf mich gewartet“, schilderte der Angeklagte das für ihn unerwartete nächtliche Zusammentreffen. Er habe sogleich einen Faustschlag aufs Ohr bekommen und sei dann am Hals gepackt worden. Er habe sich losgerissen und einen Warnschuss in den Boden abgegeben: „Leider hat das nichts genutzt.“ Der Kontrahent habe ihn daraufhin nämlich „am Nacken gepackt“, dann in die Hosentasche gegriffen und „Ich stech dich ab!“ geschrien. Plötzlich habe er „etwas Spitzes“ – offenbar ein Messer – bei dem körperlich überlegenen Widersacher gesehen, sagte der 24-Jährige.

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„Mich hat die Angst und die Panik übermannt“, betonte der Angeklagte. Daher habe er geschossen: „Ich habe Richtung Boden und Richtung Beine gezielt, dass ich ihn ja nicht töte.“ Die Staatsanwältin unterstellte dem 24-Jährigen dagegen Tötungsvorsatz. Jedermann wisse, dass sich in den Beinen wichtige Blutgefäße befänden. Hätte ein Projektil eine Arterie getroffen, hätte der Mann verbluten können, argumentierte die Anklägerin.

„Hätte ich ihn töten wollen, hätte ich ihm in die Brust oder in den Kopf geschossen“, hielt dem der Angeklagte entgegen. Er habe die Waffe zuvor ausprobiert gehabt und im Rahmen von Schießübungen damit auf Bäume und Flaschen geschossen. „Ein normaler Mensch hat Angst, wenn er eine Schusswaffe sieht“, fügte der 24-Jährige noch hinzu. Sein früherer Freund sei allerdings „noch aggressiver“ geworden.

Dieser stellte sich nach einer Mittagspause im Zeugenstand als körperlich deutlich kleiner als der Angeklagte heraus. Auch gewichtsmäßig dürfte ihm der 24-Jährige zumindest derzeit überlegen sein. Er habe bei der nächtlichen Begegnung vom Angeklagten „meinen Besitz zurückverlangt“. Während er im Gefängnis saß, „hat er mir meinen Hund, meine Wohnungsschlüssel und 350 Euro gestohlen“, sagte der 28-Jährige. Zu den inkriminierten Vorgängen wollte der Zeuge zunächst mit dem Verweis auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nichts sagen: „Ich kann mich nicht erinnern.“

Daraufhin wurde im Gerichtssaal ein Video einer Überwachungskamera abgespielt, die die Auseinandersetzung aufgezeichnet hatte. „Da sehen Sie das eh. Was soll ich da noch sagen?“, bemerkte der Zeuge in Richtung der Richterschaft. Er habe den Angeklagten nicht angegriffen, sondern festhalten wollen, um die Polizei zu rufen, weil er seine Besitz zurückhaben wollte, bekräftigte er. Er habe deshalb in die Hosentasche gegriffen, um sein Handy herauszuholen. Da habe der Angeklagte geschossen: „Warum weiß ich nicht. Ich kann nicht in seinen Kopf reinschauen. Er hat’s einfach getan.“ Auf die Frage, ob er nicht Angst vor der Schusswaffe gehabt hätte, meinte der Zeuge: „Wieso? Ich dachte nicht, dass er so dumm ist und schießt.“

Zur Urteilsverkündung hatte die vorsitzende Richterin sechs hünenhafte Justizwachebeamte in den Gerichtssaal bestellt, weil Unmutsäußerungen im Publikum befürchtet wurden. Als es so weit war, hielten sich im Saal allerdings nur mehr Angehörige des Angeklagten auf – das Opfer und dessen Begleiter hatten da längst das Graue Haus verlassen. Den Ausgang der Verhandlung quittierten die Familie und Freunde des 24-Jährigen mit lautstarkem Applaus, Verteidiger Musliu wurde regelrecht abgefeiert. Im Fall einer anklagekonformen Verurteilung hätte der 24-Jährige mit einer Freiheitsstrafe zwischen zehn und 20 Jahren oder gar lebenslang rechnen müssen.

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