Mit der größten genetischen Studie zur Zusammensetzung der ersten größeren bäuerlichen Gesellschaft Europas – der Linearbandkeramik-Kultur – wartet ein Team um Wiener Wissenschafter im Fachblatt „Nature Human Behaviour“ auf. Die gesammelten, auch archäologischen Erkenntnisse lassen auf eine weit verbreitete, teils eng verwandte Gruppe schließen, in der es wenige Unterschiede beim Zugang zu Nahrung und anderen Ressourcen gab, und deren Ende gewaltsam kam – auch im heutigen NÖ.
Im niederösterreichischen Weinviertel befindet sich eine der ältesten Fundstätten der Erde, an der sich deutliche Hinweise auf systematische kriegerische Handlungen nachweisen lassen: Vor rund 7.000 Jahren wurden in der jungsteinzeitlichen Siedlung von Schletz bei Asparn an der Zaya zahlreiche Menschen ermordet. Dies gilt als ältester Nachweis von Krieg in Mitteleuropa überhaupt.
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Massaker von Asparn im Fokus
Expertinnen und Experten um die auch an der aktuellen Publikation beteiligte Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien haben u.a. Schädelfrakturen und andere Anzeichen von Gewalt an den Skeletten in den vergangenen Jahren intensiv untersucht und gezeigt, dass sie eindeutig auf massive Schläge mit Steinbeilen hindeuten. Zusammen mit Funden aus Talheim und Herxheim (Deutschland) und Vrable in der Slowakei dürften diese sehr frühen Zeugnisse groß angelegter Gewalttaten zwischen jungsteinzeitlichen (neolithischen) Gruppen mit dem Verschwinden der Linearbandkeramik(LBK)-Kultur vor 7.000 bis 6.900 Jahren vor heute zusammenhängen.
Das Forschungsteam um Pere Gelabert und Ron Pinhasi von der Universität Wien sowie David Reich von der Harvard University (USA) interessierte sich nun dafür, wer die Menschen waren, die über den Balkan kommend vor rund 8.000 bis 7.500 Jahren die neue, landwirtschaftliche Lebensweise großflächiger nach Mitteleuropa und darüber hinaus trugen. Archäologische Befunde lassen darauf schließen, dass sich diese Gruppe innerhalb von nur wenigen Generationen über das Donautal und die ungarischen Ebenen in Teilen des heutigen Österreich, Böhmen und Mährens, der Slowakei und Deutschlands vor allem entlang von Flüssen etablierte.
Linearbandkeramik-Kultur verbreitete sich rasch
Wenige Jahrhunderte später stieß die nach ihrer Töpferkunst mit charakteristischen Verzierungen benannte Kultur bis nach Westfrankreich sowie im Osten nach Polen, die Ukraine und das heutige Rumänien vor. Die Utensilien, die sie an vielen Orten hinterlassen haben, und der Aufbau ihrer einstigen Siedlungen zeige erstaunliche Überschneidungen, schreiben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Arbeit, wenn auch gewisse Unterschiede zwischen West und Ost feststellbar sind.
Im Rahmen von Erbgut-Analysen von insgesamt 250 Menschen aus 31 Fundstätten aus jener Zeit – davon 87 Genome aus Österreich – näherte sich das Team nun dieser Gesellschaft neu an. Den auch Knochenuntersuchungen, Radiokarbondatierungen, Grabbeigaben und Ernährungsdaten umfassenden Auswertungen zufolge vermischte sich die spätere Linearbandkeramik-Gruppen noch in der Zeit, bevor die charakteristischen Töpfereien entstanden, mit alteingesessenen Jäger-Sammlern, schreibt das Team.
Weitreichende, enge Verwandtschaften
Auch die umfassende Rekonstruktion der Verwandtschaftsbeziehungen bestätige das Bild, dass sich die Vertreter der LBK-Kultur „innerhalb weniger Generationen über Hunderte von Kilometern ausgebreitet haben“, heißt es in einer Aussendung der Uni Wien. „Wir konnten entfernte Verwandte in der Slowakei und andere in Westdeutschland identifizieren“, die mehr als 800 Kilometer voneinander begraben wurden, wird Studien-Erstautor Pere Gelabert vom Institut für Evolutionäre Anthropologie zitiert.
Außerdem fand man deutliche Hinweise auf eine sehr egalitär aufgestellte Gesellschaft: So könne man sagen, „dass sich die Familien an den untersuchten Fundorten Nitra in der Slowakei und Polgár-Ferenci-hát in Ungarn weder in Bezug auf die konsumierte Nahrung, noch auf die Grabbeigaben oder ihre Herkunft unterschieden“. Das deute darauf hin, das nicht nach Familie oder biologischem Geschlecht unterteilt wurde, „und wir können keine Anzeichen von Ungleichheit im Sinne eines unterschiedlichen Zugangs zu Ressourcen oder Raum feststellen“, so Pinhasi. Ähnlich wie in früheren Studien fand man Anzeichen, dass Männer eher am Ort ihres Aufwachsens begraben wurden als Frauen – letztere also offenbar eher ihren Wohnort wechselten.
Asparn war anders
Erstaunlich lesen sich die Ergebnisse zu den Opfern des Massakers von Asparn: Hier wurden im Vergleich mit anderen größeren Fundstellen die mit Abstand wenigsten Verwandtschaftsbeziehungen gefunden. Unter den Opfern finden sich lediglich zehn Individuen, zwischen denen nähere genetische Bande bestanden haben. Das Massaker, das vor allem unter Männern und Kindern angerichtet wurde, scheint damals also nicht nur eine lokal ansässige Gruppe betroffen haben. Es sei denkbar, dass sich in instabilen, gewaltsamen Zeiten auch Leute aus weiter entfernten Siedlungen im heutigen Weinviertel eingefunden haben. Der Ort könnte eine Art Zentrum der LBK-Kultur gewesen sein, bevor sie in Folge von großen gewaltsamen Konflikten unterging.