Neue Operationsmethode bei fortgeschrittener Parodontose

Bei fortgeschrittener Parodontose mit Zahnverlust und Kieferschwund kann den Betroffenen erstmals eine Operationsmethode neben Implantaten bis zur Wiederherstellung des Zahnfleischs helfen.

Bisher habe in der Zahnheilkunde der Satz gegolten: „Was weg ist, ist weg“, erläuterte der Wiener Kieferchirurg Kurt Vinzenz im APA-Gespräch. Die von ihm mitentwickelte OP-Technik hatte der Mediziner kürzlich beim Europäischen Kieferchirurgiekongress in Madrid (EACMFS 2022) vorgestellt.

Parodontose (auch Parodontitis) ist eine Erkrankung, die sowohl das Zahnfleisch als auch den zahntragenden Teil des Kieferknochens betrifft. Es kommt dabei zum fortschreitenden Verlust des stützenden Gewebes und des Knochens.

Zähne werden dadurch locker und können ausfallen oder müssen gezogen werden. Zahnärztlich relevant seien daher „die großflächige Wiederherstellung von Zahnfleisch und bei Knochenschwund die großräumige Rekonstruktion von Kieferknochen“, sagte Vinzenz.

Mithilfe seiner jahrzehntelangen Erfahrung in der Mund-, Kiefer-und Gesichtschirurgie bis zu seinem Pensionsantritt als Krankenhausarzt habe er in den vergangenen Jahren seine Methoden aus der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie des Kiefers und Gesichtes für die Anwendung in der Zahnheilkunde und Implantologie modifiziert. Es handle sich um „Chirurgie, die über den Bereich von Zahnlücken hinausgeht und schonend zur Anwendung kommt“, betonte der Facharzt. Die neue Methode bestehe aus „eigentlich drei Operationen“, wobei sich jede auch einzeln in modifizierter Form durchführen lasse.

Bei starkem Knochenschwund des Kiefers werden zunächst Knochenblöcke – wie in der Unfallchirurgie und Orthopädie üblich – aus dem Schulterblatt oder Hüftknochen zur Kieferrekonstruktion verwendet. Zweiter Schritt – oder alleiniger Eingriff, wenn genügend Kieferknochen vorhanden ist – ist das Anwachsen einer mit einer speziellen Membran beschichteten Schleimhaut, „die sich zum Zahnfleisch umbaut“, sowohl am eigenen als auch am wiederhergestellten Kieferknochen.

Dabei geht es um die „Regenerationsschicht von Spalthaut, Dermis oder Mundschleimhaut, die trotz verschiedener Entnahmestellen direkt am Knochen aufliegend, sowohl den Knochen als auch die Schleimhaut zum Wachsen bringt und die Zähne und Austrittsstellen der Zahnimplantate erstmals fugendicht umschließt“, erläuterte Vinzenz.

Die dritte Operation betrifft das künstliche Zahnreihen-Implantat anstelle der ausgefallenen Zähne. „Die Implantation erfolgt anatomisch präzise durch computerunterstützte Planung und steht genau dort, wo vor Jahren die eigenen Zähne gestanden sind“, berichtete Vinzenz. Im Vergleich zu dieser neuen Wiederherstellung von Kieferfortsatz und Zahnfleisch werde bisher üblich „lediglich der noch verfügbare Restknochen aufgefädelt und der Kiefer und das Zahnfleisch und der Kieferfortsatz durch eingeschraubte Prothesen ersetzt, ein rosafarbiger Kunststoff an der Prothese ist der Ersatz für das Zahnfleisch“. Die klassisch angeschraubte Implantatprothese müsse immer zum „Service“ abgenommen werden, da die Schlupflöcher und Spalten verschmutzen und dann Taschenentzündungen um das Implantat zum Implantatverlust führen.

Die neuere Methode habe dagegen funktionelle und ästhetische Vorteile, da der ursprüngliche, jugendliche Kiefer wiederhergestellt und die Parodontose der umgebenden noch vorhandenen Zähne gestoppt wird, erläuterte Vinzenz. „Das Implantat ist bei unserer Operationstechnik nicht nur wie bisher im Knochen eingewachsen, sondern – überdies erstmalig wissenschaftlich bewiesen – mit dem Implantat zusammengewachsen ‚periimplantiert‘, sodass kaum Taschenbildungen mehr möglich sind.“ Die somit insgesamt kostensparende Operationstechnik ist sowohl beim Ober- als auch beim Unterkiefer anwendbar. Sie kommt nicht nur bei fortgeschrittener Parodontose zum Einsatz, sondern auch bei anderen Erkrankungen in dem Bereich – ausgehend von zahnmedizinischen Kieferdefekten bis hin zu angeborenen oder erworbenen Gesichtsdefekten (Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Unfälle, krebsbedingte Kieferdefekte).

Neben dem Keynote-Vortrag beim Kieferchirurgie-Kongress in Madrid Ende September hatte Vinzenz die Ansätze gemeinsam mit Mimis Cohen, dem ehemaligen Vorstand der Universitätsklinik für plastische Chirurgie in Chicago, bereits im Fachblatt „Journal of Craniofacial Surgery“ beschrieben. Die spezielle Implantationstechnik inklusive Wiederherstellung von Kieferknochen und Zahnfleisch (sogenannte „Like Tissue Grafts“) stellt „den derzeitigen internationalen Letztstand der wiederherstellenden Kieferchirurgie dar“, betonte Vinzenz. Diese würde auch für die Entwicklung einer roboterassistierten Chirurgie in Chicago herangezogen, wo der Wiener Mediziner als Gastprofessor tätig ist. Dort komme die Technik bereits ebenso zum Einsatz wie in China und Spitälern einiger EU-Staaten wie Frankreich und Spanien sowie bereits seit Längerem in der Klinik Ottakring und im Evangelischen Krankenhaus Wien, zusätzlich bemühe sich das AKH Wien seit einigen Jahren, die Methode zu etablieren. Vinzenz erwartet eine zunehmende Anwendung der Operationstechnik.

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