
Als hätte es die Corona-Pandemie nie gegeben: Das Niveau der Strafanzeigen lag im vergangenen Jahr nach eklatanten Rückgängen 2020 und 2021 nahezu exakt auf demselben wie im letzten Vor-Pandemie-Jahr 2019. 2022 waren es 488.949 Strafanzeigen, 2019 lag man bei 488.912. Das wurde am Montag bei der Präsentation der Kriminalstatistik in Wien bekanntgegeben. Wie in den Vorjahren wurden mehr als 50 Prozent der Taten aufgeklärt.
„Es ist das eingetreten, was erfahrene Kriminalisten erwartet haben“, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bei der Pressekonferenz. Die polizeiliche Anzeigenstatistik ist wieder auf dem Niveau vor der Pandemie. „Somit ist das Corona-Loch wieder geschlossen“, sagte Karner. Er benannte außerdem die „drei größten Herausforderungen“ und zählte hier Extremismus, den Kampf gegen die Schleppermafia sowie Cybercrime auf. „Manche Deliktsfelder haben durch die Pandemie eine besondere Dynamik bekommen und sind deutlich gestiegen“, sagte der Innenminister unter Bezug auf Extremismus und Cybercrime.
Die Pandemiejahre zeigten einen starken Rückgang der Anzeigen: 2020 wurden 433.811 Straftaten angezeigt, 2021 waren es gar „nur“ 410.957. Das Bundeskriminalamt (BK) sieht das darin begründet, dass die sogenannte klassische Kriminalität einen Einbruch erlebte, vor allem durch die geschlossene Nachtgastronomie und durch die Lockdowns, womit das öffentliche Leben stark eingeschränkt war. So gab es etwa im Bereich der Nachtgastronomie deutlich weniger Diebstähle und Körperverletzungen, so das BK.
Extremismus-Anzeigen sind in der Pandemie angestiegen, strafbare Handlungen waren 2022 laut Karner auf demselben Niveau wie 2021, aber deutlich höher als vor Corona. Staatsverweigerer und die Verschwörerszene haben bei Kundgebungen ihre kruden Theorien verbreitet und auch immer wieder Werbung für Rechtsradikale und Identitäre gemacht, sagte Karner. 2022 wurden vom Verfassungsschutz mehr als 660 Personen angezeigt, mehr als 100 Hausdurchsuchungen durchgeführt und 37 Personen festgenommen. Praktisch unverändert gegenüber 2021 blieben die Anzeigen gegen Linksextreme: Laut dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, gab es in dieser Sparte im Vorjahr 142 Anzeigen, 2021 waren es 144.
Als zweite Herausforderung nannte der Innenminister den Kampf gegen die Schleppermafia, hier werde „schmutziges Geld gemacht, Tote spielen in diesem Bereich der Organisierten Kriminalität keine Rolle“, sagte Karner. 2022 wurden 687 Schlepper festgenommen – das mache eine Steigerung von 56 Prozent aus, unter den Verdächtigen seien auch „einige große Fische“ gewesen.
Der dritte herausfordernde Bereich ist die Cyberkriminalität. Auch diese habe durch die Digitalisierung in der Pandemie einen Zuwachs bekommen. 2022 gab es um 30,4 Prozent mehr Anzeigen. Die polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Anzeigenstatistik. Der Innenminister betonte, dass es in diesem Bereich „eine zunehmende Bereitschaft der Opfer gibt, das zur Anzeige zu bringen“. Die Zahl der Anzeigen stieg von 46.179 im Jahr 2021 auf 60.195 Fälle im vergangenen Jahr. Folgerichtig liegt Cybercrime besonders im Fokus der Reform des Kriminaldienstes, die derzeit zwischen den Projektverantwortlichen unter der Ägide von BK-Direktor Andreas Holzer und der Personalvertretung im Innenministerium und bei der Polizei ausverhandelt wird. Die am häufigsten registrierten Delikte sind Betrügereien unter Verwendung des Internets, aber auch Gewaltdelikte im Netz nehmen zu, was laut Innenministerium den Anstieg von Gewaltdelikten insgesamt erklären kann.
Ruf sagte, dass die Aufklärungsquote – wie die Anzeigen selbst – einen ähnlichen Wert wie 2019 zeige. Den höchsten Wert wies das Bundesland Tirol mit 61,7 Prozent auf, den niedrigsten das Burgenland mit 35 Prozent, was sich Ruf zufolge aus den Anzeigen wegen Schlepperei ergibt, wo großteils unbekannte Täter genannt wurden und ein Delikt auch dann als verübt gilt, wenn der Täter die Geschleppten zur österreichischen Grenze bringt, diese aber nicht überschreitet. Der Generaldirektor kündigte an, dass der Kampf gegen die Schlepperei auch 2023 ein Schwerpunkt der polizeilichen Arbeit bleibt.
Beim Cybercrime unterscheidet die Polizei zwischen der Internetkriminalität im engeren Sinn – Bsp. Hacking und Ransomware – und im weiteren Sinn, bei dem das Web als Tatmittel genutzt wird. Bei weitem den größten Teil machen dabei Betrügereien aus. Als Beispiel nannte BK-Direktor betrügerische SMS, in denen angeblich das Finanzamt mit Exekutionen und Pfändungen droht. „Polizei, Justiz oder auch die Finanz fordern nicht über SMS Geld“, gab Holzer gleich einen Präventionstipp.
Die Zahl der angezeigten Gewaltdelikte stieg von 67.441 auf 78.336, was ein Plus von 16,9 Prozent bedeutete. Das liegt laut Holzer vor allem daran, dass im Internet verübte Delikte wie „Sextortion“ – eine Erpressung, bei der das Opfer verleitet wird, sich vor der Webcam auszuziehen, um dann die Drohung der Veröffentlichung dieser Bilder zu erhalten – auch zur Gewaltkriminalität gezählt werden. Diese Form der Erpressung macht mittlerweile den größten Anteil bei Erpressungsdelikten insgesamt aus. Rund 3.500 Anzeigen fielen im vergangenen Jahr unter Erpressung im Internet. Auch die angeblich von BK-Direktor Holzer an User versendeten Fake-Mails, wonach sich diese Material von Missbrauchshandlungen an Kindern im Internet angesehen hätten und eine Geldstrafe zahlen müssten, wurden zur Gewaltkriminalität gezählt.
Im Vorjahr gab es in Österreich insgesamt 72 Tötungsdelikt, 39 Frauen und 33 Männer wurden getötet. 2021 wurden 18 männliche und 36 weibliche Personen getötet. 81 Prozent der vollendeten, von Polizisten als Mord klassifizierte Tötungsdelikte waren sogenannte Beziehungstaten.
Ein Schwerpunkt der Polizei bleibt auch der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Holzer sprach hier die „Operation Achilles“ an, die Österreichs Ermittler seit längerem auf Trab hält und wohl noch über Jahre beschäftigen wird. Mehr als eine Milliarde Daten liegen für die heimischen Kriminalisten bei Europol bereit, mehr als 100 Verdächtige wurden auf Grund der sichergestellten Kryptochats bereits festgenommen, mehrere tausend Beschuldigte gibt es noch.
Rückgänge gab es 2022 bei der Eigentumskriminalität. Allerdings trifft das auf Wohnraum-Einbrüche nicht zu, die vom absoluten – pandemiebedingten – Tiefstwert 2021 mit 4.612 Anzeigen um 31,3 Prozent auf 6.058 sprangen.