Die Neuausrichtung der Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) auf Gesundheitswissenschaften nimmt konkretere Formen an: Am Montag wurden mit dem Bildungsministerium drei neue Institute (LBI), die Siegerprojekte einer im Vorjahr erfolgten Ausschreibung zu „Health Services“, vorgestellt. Damit einher geht auch die Teilzeit-Rückkehr des renommierten, in den USA forschenden österreichischen Virologen Florian Krammer.
Krammer, der einer breiteren Öffentlichkeit hierzulande vor allem als wissenschaftlicher Kommunikator in der Corona-Pandemie bekannt wurde, übernimmt das LBI für „Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge“. Es nehmen zudem Boltzmann-Institute für nanovesikuläre Präzisionsmedizin unter Leitung von Biochemikerin Nicole Meisner-Kober sowie für Netzwerkmedizin unter Leitung von Netzwerkwissenschafter Jörg Menche die Arbeit auf. Die Institute, die jeweils in Kooperation mit einem Partner für maximal zehn Jahre eingerichtet werden, erhalten eine Basisfinanzierung von bis zu 1,5 Mio. Euro pro Jahr, wobei 80 Prozent von der LBG und 20 Prozent vom institutionellen Partner kommen.
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Exzellente Forscher mit zündenden Ideen
Exzellente Forscherinnen und Forscher habe man mit der Förderung ansprechen wollen, sagte Barbara Weitgruber vom Bildungsministerium. Das sei gelungen. „Zündende Ideen“ wie auch Persönlichkeiten mit Verve für Wissenschaftskommunikation, hätten zudem die Suche angeleitet, so LBG-Präsidentin Freyja-Maria Smolle-Jüttner.
Der Start des an der MedUni Wien angesiedelten LBI für „Wissenschaftsvermittlung und Pandemievorsorge“ ist für Mitte 2025 geplant – er müsse sich erst „in Österreich einarbeiten“, wie der live aus New York zugeschaltete Virologe Krammer meinte. Er tritt aber bereits mit 1. März 2024 eine 20-Prozent-Professur für Infektionsmedizin an der Meduni Wien an, im ersten Jahr werde er schon „viel Zeit in Wien verbringen“. Bei seinem LBI geht es um die Überwachung und Verbreitung von Viren im urbanen Raum „an der Schnittstelle von Mensch und Tier“, also um von Tieren auf den Menschen übertragbare Viren: „Die Idee ist, sich anzuschauen, was im urbanen Raum in Vögeln oder Ratten so an Krankheitserregern unterwegs ist.“ Die so gesammelten Daten, z. B. neue Krankheitserreger und deren Genomsequenzen, werden analysiert, um darauf aufbauend Gegenmaßnahmen, etwa Impfstoffkandidaten und Therapien, zu entwickeln.
Steirer ist in den USA Professor für Vakzinologie
Krammer wurde am 17. Dezember 1982 in Voitsberg in der Steiermark geboren und wuchs in Pack auf. Er studierte Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien, das er 2010 abschloss und wo er sich im Bereich der angewandten Virologie spezialisierte. Als Post-Doc heuerte Krammer in der Abteilung für Mikrobiologie der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Krankenhaus beim ebenfalls aus Österreich stammenden Virologen Peter Palese an. Seit damals konzentriert er sich u. a. auf die Entwicklung eines Influenza-Impfstoffes, der möglichst gegen alle Grippeviren-Stämme wirken soll und bereits in klinischen Versuchen getestet wird. Dafür erhielt er 2019 von der US-Gesundheitsbehörde (NIH) eine Forschungsförderung in der Höhe von 132 Mio. Dollar (rund 122 Mio. Euro). Seit 2019 ist Krammer auch Professor für Vakzinologie am Mount Sinai Krankenhaus, wo er das „Sinai-Emory Multi-Institutional Collaborative Influenza Vaccine Innovation Center“ (SEM-CIVIC) leitet.
In Kooperation mit Psychologinnen der Universität Wien will man u. a. die eigene Kommunikationstätigkeit rund um die Forschung wissenschaftlich analysieren und weiterentwickeln. Nach den Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie „gibt es hier viel Nachholbedarf“ beim Kommunizieren von komplexen Sachverhalten, so Krammer.
Körpereigenes zelluläres Transportsystem
Das LBI für „Nanovesikuläre Präzisionsmedizin“, angesiedelt an der Uni Salzburg, sucht nach neuen Wegen, wie biologische Wirkstoffe zielgerichtet und effektiv im Körper über Schutzbarrieren hinweg in genau jene Gewebe transportiert werden können, wo sie zur Bekämpfung von Erkrankungen wie etwa Krebs benötigt werden. Dabei will man sich ein „körpereigenes zelluläres Transportsystem“ im Nanomaßstab zunutze machen, wie LBI-Leiterin Meisner-Kober erläuterte.
Ein „Brückenschlag“ ist Leitbild für das an der Uni Wien angesiedelte LBI für „Netzwerkmedizin“, wie Leiter Menche sagte: „Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.“ Es gehe hier nicht um die Betrachtung einzelner Proteine bis hin zu individuellen Organen, sondern vielmehr darum, ein besseres Verständnis der „molekularen Netzwerke im menschlichen Körper“ zu entwickeln. Wie sehen die Verbindung, Wechselwirkungen und Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten aus und wie kann man Erkrankungen vorhersehen, die auf Störungen des komplexen Netzwerkes beruhen? Dafür werden die Forschenden biomedizinische Daten auswerten, auch mit Hilfe der Künstlichen Intelligenz sowie Virtual-Reality-Technologien. Letztlich geht es auch hier um neue personalisierte Diagnose- und Therapieansätze, zum Beispiel mit Blick auf seltene Immunerkrankungen oder auch die Rheumatologie.