Forscher erwartet durch KI bessere Früherkennung und wirkungsvollere Medikamente

Interview der Woche: Der aus Oberösterreich stammende Genetiker Josef Penninger geht von großen Fortschritten in der Medizin aus, warnt aber vor neuen Epidemien

Josef Penninger übernahm Mitte 2023 die Leitung des deutschen Helmholtz-Zentrums in Braunschweig für Infektionsforschung und eine 25-Prozent-Professur an der MedUni Wien.
Josef Penninger übernahm Mitte 2023 die Leitung des deutschen Helmholtz-Zentrums in Braunschweig für Infektionsforschung und eine 25-Prozent-Professur an der MedUni Wien. © APA/Dublansky

VOLKSBLATT: Der Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) befindet sich in der Medizin auf dem Vormarsch. In welchen Bereichen erwarten Sie sich die größten Fortschritte und Vorteile für die Patienten?

PENNINGER: KI hat einen unglaublichen Sprung gemacht, großteils getrieben von der Computer-Gaming-Industrie. Die Systeme sind jetzt nicht mehr zwingend abhängig von den Datensätzen, die wir eingeben, sondern können mit sehr großen Datensätzen lernen. Dort werden die großen Fortschritte passieren. Ansonsten wird KI bei verschiedenen organisch-psychischen Störungen, bei Krebstherapien, Interpretationen von EKG- oder MRI-Bildern und in der Augenheilkunde bereits eingesetzt.

Wie lauten Ihre Erwartungen für den Bereich der Krebsforschung?

Krebsforschung verwendet KI seit etlichen Jahren, um etwa durch Genanalyse von Tumoren deren Ansprechen auf bestimmte Therapien zu bestimmen, also personalisierte Krebsmedizin. Bereits jetzt und noch mehr in der Zukunft werden auch sogenannte Metabolomics und Proteinanalysen einbezogen werden, um etwa bessere Biomarker für Früherkennung oder Monitoring von Therapieerfolgen zu entwickeln.

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Gibt es auch Gefahren beim Einsatz der KI in der Medizin? Worauf gilt es besonders zu achten?

Wie Dostojewski in den Brüdern Karamasoff schrieb: „Jeder Stab hat zwei Enden.“ In der Medizin überwiegt definitiv das positive Ende, bessere Früherkennung, schnellere Diagnostik, verbesserte und zielgerichtete Medikamente.

Wie weit ist in Österreich der Einsatz der KI im Vergleich mit anderen Ländern bereits fortgeschritten? Müssen noch mehr Anstrengungen unternommen werden?

Ja, das müssen wir. Das Gebiet entwickelt sich rasant. Am neuen Eric-Kandel-Institut für Präzisionsmedizin an der MedUni Wien wird KI ein integrativer Bestandteil sein. Durch gezielte Kooperationen mit Top-KI-Forschern und Instituten, etwa Helmholtz Health, der größten Life-Science-Allianz in Europa mit Hunderten KI-Wissenschaftern und der dazugehörigen Infrastruktur – das ich einbringen und vernetzen kann – können wir es schaffen, dass man Daten so darstellt, dass sie für die neueste KI lesbar werden.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie jährt sich zum vierten Mal. Wie lautet ihre Bilanz?

Ich habe ja das Enzym ACE2 mitentdeckt. Wir haben als Erste schon vor 20 Jahren beschrieben, warum und wie SARS zu Lungen- und Multiorganerkrankungen führt. Mit Corona ist genau das passiert, was wir und andere, die sich etwas auskennen, vorausgesagt haben inklusive Long Covid. Covid-19 ist noch lange nicht vorbei und Pandemien werden auch nicht zwingend milder. Daher brauchen wir, zusätzlich zu den tollen Impfungen dringend Medikamente zur Behandlung und besseren Prävention einer akuten Infektion. Und wir müssen verstehen, warum es bei manchen Patienten zu Long Covid kommt. Basierend auf guter Forschung gibt es rationale Lösungsansätze, die gegen alle SARS-CoV-2-Varianten, auch die wir noch gar nicht kennen, funktionieren. Man muss sie aber umsetzen, das passiert leider nicht.

Müssen wir in absehbarer Zeit mit einer ähnlichen verheerenden Pandemie rechnen?

Ich bin gerade in der Zentralafrikanischen Republik, wo das von mir geleitete Helmholtz-Zentrum (HZI) ein Institut hat. Die tollen jungen Forscher wollen herausfinden, wie sich die Klimaänderung auf die Gesundheit von Pflanzen, Haustieren und Wildtieren auswirkt. Fakt ist: Durch Klimaänderung, Rodungen, Bevölkerungszuwachs und Mobilität werden sich Epidemien beschleunigen und mehr werden. Wir versuchen rauszubekommen, wie dies passiert, um das Überspringen auf die ganze Welt besser vorauszusehen und hoffentlich zu verhindern.

Im Rückblick gesehen: Welche Fehler sollten tunlichst vermieden werden?

Es ist müßig, über Fehler zu reden und mit Fingern auf andere zu zeigen. Wichtig ist, dass wir daraus lernen, in Wissenschaft, Public Health, Politik, Medikamentenentwicklung und auch in medialer Berichterstattung. Wir müssen die Systeme besser verstehen, dann können wir auch besser und schneller reagieren. Das versuchen wir am HZI mit unseren globalen Netzwerken zu tun.

Die Pandemie hat gezeigt, dass die Bereitschaft der Menschen, sich impfen zu lassen, endend wollend ist. Sollte man zum Schutz gegen ansteckende Krankheiten besser auf Medikamente setzen, sofern dies möglich ist?

Wir brauchen beides. Ich kann nur raten, dass sich Leute impfen lassen, ich komme ja aus der Immunologie. Wir brauchen aber dringend auch Medikamente, besonders für Atemwegsinfektionen, da Impfungen zwar vor schweren Erkrankungen, aber nur bedingt vor Ansteckungen schützen. Wir müssen daher auch versuchen, den Ansteckungszyklus noch mehr zu verringern.

In Österreich ist viel von Zwei-Klassen-Medizin und Ärztemangel die Rede. Wie könnte man die Situation nachhaltig verbessern?

Das kann ich nicht beantworten, da gibt es klügere Köpfe als mich. Wir wollen aber das Eric- Kandel-Institut an der MedUni Wien zu einem weltklasse Institut aufbauen, in dem die tollen jungen Mediziner ihre Forschung und Karrieren unabhängig aufbauen können. Wir haben so viel Talent im Land, wir wollen diese klugen jungen Leute finden, fördern und mit einem Lächeln zuschauen, wie sie die Welt der Biomedizin verändern. Ein IST (Institut of Science and Technology) für biomedizinische Forschung in Österreich wäre toll, denn am Ende werden wir alle durch eine neue Welt der Biomedizin profitieren.

Die Fragen an Prof. Penninger stelle Heinz Wernitznig.

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