Kompetenz schützt Kinder vor Gewalt im „Haifischbecken Social Media“

Bedrohungen nehmen zu — Dramatische Auswirkung auf die Psyche — Medienbildung von Kindern, Eltern, Lehrer entscheidend

Sankt-Petersburg Russia November 11, 2017: Apple iPhone 7 on

TikTok, Instagram, Snapchat und Co.: Oberösterreichs Kinder verbringen nach der Schule im Schnitt 130 Minuten täglich online. In Deutschland ist der Medienkonsum noch höher. Schon 15-Jährige sind pro Woche 64 Stunden im Netz unterwegs — also mehr als neun Stunden täglich, wie eine Studie zeigte. Besonders erschreckend: Laut einer DAK-Kinder- und Jugendstudie ist dort bereits jedes 3. Kind Onlinemedien-süchtig.

Nicht die Dauer der digitalen Medien-Nutzung sei das Problem, sondern die Inhalte, die Kinder konsumieren, weiß die deutsche Digitalbotschafterin und Bestseller-Autorin Silke Müller, die am Freitag (15. März) beim 9. Vernetzungstreffen Gewalt-Schule-Medien vor oö. Pädagogen referieren wird.

„Kinder werden mit Bildern von Kriegsverbrechen, sexueller Gewalt oder bestialischen Tierquälereien konfrontiert“, so Müller, selbst zweifache Mutter und Schulleiterin in Niedersachsen. Dies habe dramatische Auswirkungen auf ihre Psyche. Dazu kommen Gefahren durch Cybermobbing, „bei dem die Kinder mit ganz neuen Grausamkeiten konfrontiert werden“, oder Cyber-Grooming durch Pädophile.

Letztes zählt sie zu „einer der größten Bedrohungen unserer Zeit“. Dass heutzutage das Versenden von Nacktfotos immer selbstverständlicher werde, befeuert die Gefahr. Die größte sieht sie im übrigen — ohne Bashing betreiben zu wollen — bei der Plattform TikTok mit seinen mehr als eine Milliarde Nutzern.

Dort laufe alles zusammen, die User werden etwa durch Links auf andere Plattformen gleitet. Erst kürzlich gab es erneut einen Todesfall bei einer so genannten TikTok-Challenge. Ein neues, globales Problem sieht die Expertin in der Künstlichen Intelligenz. Sie befürchtet, „dass wir Kinder nicht genug auf die Herausforderungen von KI vorbereiten“.

Können nicht den Stecker ziehen

Wie aber können sie dennoch vor dem „World Wide Bösen“ geschützt werden? „Wir können nicht den Stecker ziehen bei den sozialen Netzwerken“, sagt Müller. Sie hält auch nichts davon, die Bildschirmzeit der Kinder zu begrenzen. Denn: „Es kann auch in fünf Minuten online etwas passieren“, so die Expertin. Der Idee, ein Smartphone-Verbot für unter 14-Jährigen kann sie jedoch so einiges abgewinnen, wenn auch ein politisches Verbot nicht realistisch durchzusetzen sei, gesteht sie ein.

Jedoch braucht es eine gemeinsame gesellschaftliche Kraftanstrengung, um Kinder zu schützen. So etwa müssten Betreiber der Plattformen für die Inhalte verantwortlich gemacht werden. Problematische werden zwar immer wieder gelöscht, doch bei Weitem nicht genügend. Somit liege der Schlüssel für eine sichere digitale Kinderwelt in der Medienkompetenz, nicht nur der Kinder, sondern auch der Lehrer und Eltern.

Nachhaltige und manchmal auch konfrontative Elternarbeit sei unabdingbar, so Müller: „Wir brauchen Eltern, die sich auskennen, die Kinder vor den konkreten Gefahren im Netz warnen können und ihnen beibringen, wie man Hilfe holt und sich wehren kann“, betont sie und tritt auch für eine europaweite Plattform ein, die Eltern oder auch Lehrer über Neuheiten informiert.

Eltern und Schule gefordert

Die Kompetenz von Lehrern und Eltern im Bereich Social Media zu stärken, ist auch ein Ziel am oö. Bildungssektor. „Eltern haben oft keine Ahnung, welche Inhalte ihre Kinder im Netz konsumieren und sind sich der Untiefen, die dort lauern, oft nicht bewusst“, betont Bildungsreferentin LH-Stv. Christine Haberlander.

Gleichzeitig seien sie auch nicht medienkompetent genug, um die richtigen Fragen zu stellen. Daher sei es auch wichtig, Lehrer mit genügend Kompetenzen auszustatten, damit Kinder und Eltern gut durch das System begleitet werden können

Es brauche eine proaktive Herangehensweise, die Integration von digitaler Ethik und Medienbildung im Unterricht und damit auch eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte, betont Peter Eiselmair, GF der Education Group. Österreich einzigartig sei ein Projekt in den oö. Mittelschulen, wo es mittlerweile einen Ansprechpartner geben muss, der bei negativen Einflüssen durch Soziale Medien auf den Plan tritt — somit eine erste „SOS-Anlaufstelle“ ist.

Von Renate Enöckl

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