„Längere Ausbildung wäre Tod der Freiwilligkeit“

OÖ. Rotes Kreuz setzt auf bewährtes System mit einheitlicher Ausstattung der Rettungswägen

Lese-Paten und das Personal für die Sozialmärkte boomen, aber Sorge hat der OÖ. RK-Präsident Walter Aichinger im Gespräch mit VOLKSBLATT-Redakteurin Michaela Ecklbauer, ob er ausreichend Zivildiener für den Rettungseinsatz bekommt.
Lese-Paten und das Personal für die Sozialmärkte boomen, aber Sorge hat der OÖ. RK-Präsident Walter Aichinger im Gespräch mit VOLKSBLATT-Redakteurin Michaela Ecklbauer, ob er ausreichend Zivildiener für den Rettungseinsatz bekommt. © OÖRK/Hartl

VOLKSBLATT: Viele möchten nur noch eine Vier- Tage-Woche haben, hat das Auswirkungen auf das Rote Kreuz?

AICHINGER: Nicht im Sinne von mehr Freiwilligen. Wir merken nur, dass sehr viele berufliche Mitarbeiter nicht nur im Rettungsdienst, sondern auch in der Verwaltung in eine Teilzeitbeschäftigung gehen wollen, was uns in der Dienstplaneinteilung ziemliche Probleme bereitet.

Wird es schwieriger, neue Freiwillige zu finden bzw. die Bestehenden zu halten?

Wir haben Gott sei Dank im OÖ. Roten Kreuz Jahr für Jahr noch einen geringen Zuwachs an Freiwilligen, aber es gehen auch welche weg. Bisher haben wir die Zahl von 22.000 gut halten können. Aber bei den Zivildienern merken wir die geburtenschwachen Jahrgänge. Beim April-Termin sind noch zehn Stellen unbesetzt. Das tut uns weh, weil das sind genau jene Mitarbeiter, die wir hauptsächlich untertags einsetzen, während in der Nacht oder am Wochenende die klassischen Freiwilligen dran kommen.

Was könnte helfen, mehr Zivildiener zu bekommen? Eine freiwillige Zuzahlung, ein Pluspunkt im beruflichen Fortkommen oder ein verpflichtendes Soziales Jahr für Frauen?

Das würde sicher im ganzen Sozialbereich eine wesentliche Entlastung bringen, wenn Frauen im Angleich zu den Burschen hier ihre Erfahrungen sammelten. Geld ist nicht das Entscheidende, sondern wenn die zusätzlichen Kenntnisse und Fertigkeiten, die man erwirbt, z. B. beim Medizinstudium eine Berücksichtigung finden. In einer Firma könnte man als Sicherheits- beauftragter oder Ersthelfer tätig sein.

Sie sind Vorsitzender des neuen Freiwilligenrates. Wie geht es den anderen Organisationen mit dem Nachwuchs?

Unterschiedlich. Bei den Feuerwehren, die sehr stark ortsgebunden sind, ist auch die Vorbildwirkung (Vater, Onkel, Bruder etc.) sehr groß. Sie haben keinen Nachwuchsmangel, aber das Problem, dass von der Feuerwehrjugend zum Aktivsein etwa ein Studium dazwischen kommt und es dann schwierig wird, die Leute wieder zurückzuholen. Die Bergrettung hat keine Probleme, das ist eine sehr spezielle Form. Was wir diskutieren, ist, dass wir die Freiwilligensuche und das -management professionalisieren müssen. Die Organisationen – RK, FF, Arbeitersamariterbund, Höhlen-, Berg- und Wasserrettung sowie der Zivilschutzverband – haben ein Gemeinsames, es geht immer um Menschen in einer bestimmten Notlage. Es geht uns darum, das Problem aufzuzeigen, um Freiwillige gewinnen und weiterbilden zu können. Und es geht darum, die professionelle Unterstützung gefördert zu bekommen. Mit dem Geld für die Rettungsfahrten sind Projekte wie Freiwilligengewinn finanziell nicht abgebildet.

Wie schaut es mit Freiwilligen anderer Altersgruppen aus, etwa den Senioren?

Die Kampagne der Silver Ager ist sehr gut angekommen. Entscheidend ist, dass man sich zielgerichtet Gedanken macht, wen will ich für welche Beschäftigung gewinnen. Zum Beispiel: Die Lese-Paten boomen. Das sind nicht nur ehemalige Lehrkräfte, sondern viele ältere Menschen in Pension, die etwa Erfahrungen aus der Kindererziehung haben. Bei den Lese-Paten könnten wir ausbilden, ausbilden, ausbilden. Das tun wir auch. Jetzt haben wir auf Lern-Paten erweitert. In Wels probieren wir aus, ob dies auf Volksschul-Niveau auch in anderen Fächern möglich ist.

Welche Bereiche sind ein Renner?

Die 23 Sozialmärkte laufen von selbst, meist finden sich Menschen, die sich nicht für den Rettungsdienst interessieren würden, aber im Handel oder Vertrieb tätig waren und ihre Erfahrung sehr gut einbringen. Und die rüstigen Pensionisten engagieren sich bei Essen auf Räder, auch das läuft wirklich gut. Es ist auch eine psychosoziale Sache, weil damit oft für viele Leute der einzige Kontakt pro Tag zur Außenwelt da ist. Wir sind der Landesverband mit dem breitesten Angebot vom Notarzt über Rettung, mobile Pflege, Besuchsdienste, Krisenintervention bis hin zum Jugendrotkreuz. Von den rund 70.000 Freiwilligen beim RK österreichweit sind allein 22.000 in OÖ tätig.

Jüngst wurde in der Steiermark Kritik an den RK-Strukturen laut. Ist OÖ betroffen?

Es kommt auf die Sichtweise, wie Notfall-Einsätze strukturiert sein sollen, an. Es gibt Landesorganisationen, die trennen strikt die Rettungsfunktion vom Krankentransport. Sowohl vom Fahrzeug als auch der Mannschaft her. In OÖ sind wir der Meinung, dass es gescheit ist, soviel wie möglich gut ausgestattete Rettungs- und Krankentransportwägen zu haben. Denn wenn wirklich ein Notfall ist, reicht ein Auto nicht aus. Unsere Sanitätseinsatzwägen (SEW) sind sowohl als Rettung- als auch als Krankentransport ausgestattet. Das Notarzteinsatz-Fahrzeug (NEF) – in OÖ sind die Notärzte im Krankenhaus angestellt, der NEF dort stationiert – hat eine ganz andere Funktion. In unserem geländegängigen Allrad (NEF) fährt ein Notfall- sanitäter den Arzt, die Mannschaft des Rettungsautos (SEW) kommt nach oder ist schon dort. Mit dem SEW wird der Patient ins Krankenhaus transportiert, bei einem echten Notfall fährt der Arzt mit ihm mit. Die Leitstelle hat einen Überblick, welches Fahrzeug wo unterwegs ist. Daher liegen unsere Notfalleinsatzzeiten unter zehn Minuten – das ist sagenhaft. Das gelingt nur, wenn man relativ viele Fahrzeuge im Einsatz hat.

Es gibt Stimmen, die fordern für Sanitäter ein dreijähriges FH-Studium. Dann haben wir Paramedics, die vielleicht zehn Medikamente verabreichen dürfen. Eine viel längere Ausbildung für die Rettungssanitäter – derzeit 250 – von 1200 oder 1700 Stunden, tut sich keiner mehr an. Das wäre der Tod der Freiwilligkeit und würde das x-Fache kosten. Ein Zivildiener ist ein bestens ausgebildeter Sanitäter, der ist tagtäglich im Einsatz, der sammelt ungeheuer viel Erfahrung.

Wie weit trifft die Teuerung das Rote Kreuz?

Wir werden über die Runden kommen. Auf den Ortsdienststellen haben wir die Gaspreise neuverhandelt, es muss keine Dienststelle zugesperrt werden.

Wo wir die Teuerung spüren, das sind die Sozialmärkte. Wir haben 50 Prozent mehr Kunden-Einkäufe. Im Vorjahr waren es 80.000 Einkäufe. Da merkt man, dass die Leute die Berechtigungsscheine benötigen. Die Teuerung spüren viele.

Was ist noch ein heißes Eisen?

Wenn tatsächlich die Bereitschaft deutlich reduziert wird, dass Ärzte Patienten zu Hause behandeln, wird das System eine völlige Neustrukturierung brauchen. Denn was passiert, wenn beim Anruf bei 1450 herauskommt: „Sie benötigen einen Arzt, sind aber kein Notfall?“ Wenn wir einspringen und die Patienten ins Spital bringen, kracht das System. Das heißt, dass dann die Einsatzwägen zu lange gebunden sind. Das Modell, dass eine Krankenschwester Visite fährt – ob das die Menschen akzeptieren? Da braucht es im Hintergrund einen Arzt via Telemedizin. Das Modell würde ähnlich wie der hausärztliche Notdienst (HÄND) laufen.

Mit OÖ. Rotkreuz-Präsident WALTER AICHINGER sprach Michaela Ecklbauer

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