„Wer am Aktendeckel steht, muss einem als Richter völlig egal sein“

Neue Präsidentin des Landesgerichtes Linz, Amalia Berger-Lehner, bringt frischen Wind ins Haus

Ab 1995 bekleidete sie das Amt der Zivilrichterin und war dann auch in der Justizverwaltung tätig, vor allem in der Ausbildung des Nachwuchses, für den sie sich „fast ein bissl als Mutter“ fühlt. 2015 wurde sie Vizepräsidentin des Linzer Landesgerichtes. Seit Oktober 2023 führt sie das Landesgericht mit rund 50 Richterinnen und Richtern, 80 Vertragsbediensteten sowie Beamtinnen und Beamten, ist als Präsidentin auch verantwortlich für die sechs Bezirksgerichte im Sprengel mit weiteren rund 240 Bediensteten. Die in Linz lebende gebürtige Mühlviertlerin Amalia Berger-Lehner (57) im VOLKSBLATT-Interview.

VOLKSBLATT: Würden Sie Ihren Weg kurz beschreiben?

BERGER-LEHNER: Ich wollte zuerst in Innsbruck Medizin studieren, bin dann der Liebe wegen in Linz geblieben und habe Jus gewählt. Bei der Gerichtspraxis hatte ich das große Glück, mit Eugen Kordik und Erwin Streinesberger bei äußerst motivierten und engagierten Ausbildungsrichtern zu landen. Sie haben meine Begeisterung für den Richterberuf entfacht. Es war für mich immer von großer Bedeutung, dass man im Richterberuf unabhängig agiert: Man entscheidet vorurteilsfrei, objektiv und unvoreingenommen. Es gibt nicht viele Gebiete, wo man so agieren kann. Einflussnahme war nie Thema.

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Wie ist es als Frau in einer solchen Position?

Ich glaube, da sind wir in der Justiz schon recht weit. Wir sind schon lange in der Kollegenschaft und bei Bewerbungen gleichgestellt bzw. gibt es schon lange einen Frauenförderungsplan, der Frauen bei gleicher Eignung bevorzugt, wenn das Plansoll noch nicht erfüllt ist. Ich gehöre zu den Richtern, die den Talar während einer Verhandlung wirklich immer tragen. Für mich ist das ein Symbol nach außen hin, dass ich Richterin bin und weder als Frau noch als Mann, sondern neutral zu entscheiden habe.

Wie lässt sich die Aufgabe mit Familie vereinbaren?

Gut. Ich war nach der Geburt meiner beiden Söhne jeweils eineinhalb Jahre in Karenz. Danach durfte ich wieder in eine Zivilabteilung zurück und habe den Anschluss gut wiedergefunden.

Wie ist das Verhältnis Männer-Frauen im Richterberuf?

2022 lag der Anteil der Frauen unter den Richtern in Österreich bei 58,1 Prozent, bei den Richteramtsanwärtern waren es 64, Tendenz steigend. Ich glaube, dass der finanzielle Aspekt besonders für junge männliche Studienabsolventen auch eine Rolle spielt: Sie glauben, dass in der Privatwirtschaft mehr Geld zu verdienen ist.

Was muss man für diesen Beruf mitbringen?

Das Wichtigste ist, dass man den Umgang mit Menschen mag. Man sollte gewissenhaft sein, vor allem aber objektiv und unvoreingenommen. Ich versuche immer, mich auf die Sache selbst zu konzentrieren, unabhängig davon, ob der Streitwert besonders hoch oder besonders niedrig ist. Wer am Aktendeckel steht, muss einem als Richter völlig egal sein.

Wie finden Sie Ausgleich zu Ihrer Tätigkeit?

Ich wohne im Biesenfeld, da geht’s in der Früh gleich hinaus in die Natur zum Laufen, das ist besonders wichtig für mich. Ab und zu sind mein Mann und ich im Theater, dazu lese ich am Abend vor dem Einschlafen gerne leichte Lektüre. Am Wochenende gehen wir gern wandern und verbringen entspannende Stunden in meinem Elternhaus im Mühlviertel. Ich kann gut abschalten.

Wie steht es um den Nachwuchs im Richterberuf?

Die Zahl der Studienabgänger sinkt. Mit März 2024 haben wir jetzt einen Turnus begonnen, da haben nur noch neun Rechtspraktikanten die Gerichtspraxis begonnen. Früher hatten wir zwischen 20 und 30 jedes Vierteljahr. Das ist eklatant geschrumpft. Die Situation ist knapp. Die ausgeschriebenen Planstellen können wir nachbesetzen. Aber wir könnten natürlich grundsätzlich mehr Planstellen brauchen. In Sachen Nachwuchs für den Kanzleibereich und im Bereich der Rechtspfleger versuchen wir ganz offensiv, mit (berufsbildenden) Schulen (Handelsschulen, HAK) in Kontakt zu treten. Die Schüler können zu uns aufs Gericht kommen und mit Mitarbeitern sprechen und sich informieren.

Was ist für die nächste Zeit am Landesgericht geplant?

Im Gebäude des Landesgerichtes möchte ich alles einheitlicher haben, es wird laufend saniert. Das größte Projekt ist — das sollte im Herbst fertig sein — , der Verhandlungssaal 132, der neu und modern ausgestattet wird. Der Schwurgerichtssaal ist das nächste und eines der größten Projekte. Geplant ist ein Riesenumbau, wir hoffen, dass nächstes Jahr die Umsetzung erfolgt.

Was ist Ihnen im Umgang mit Mitarbeitern wichtig?

Das Um und Auf ist das richtige Gespür dafür zu haben, dass die Mitarbeiter am richtigen Platz sind und wo sie eben am besten eingesetzt werden können. Dies auch mit dem Anspruch, dass Rechtsuchende ins Gericht kommen, die innerhalb einer angemessenen Zeit eine ordentliche Entscheidung haben wollen. So verbinden wir hohe Arbeitseffizienz und hohe Arbeitszufriedenheit. Wenn man sich in der Atmosphäre, in der man arbeitet, gut aufgehoben fühlt, durch lobende Worte oder dadurch, dass man wieder einmal zusammenkommt, dann finde ich das unheimlich bereichernd. Wir haben im Haus eine gute Zusammenarbeit, sehr viel läuft transparent ab. Ich nehme mir immer Zeit für Anliegen der Mitarbeiter. Ich möchte das Zusammengehörigkeitsgefühl wieder stärken, damit sich die Kollegen noch mehr mit der Arbeit identifizieren und gerne zusammenkommen im Haus. Durch die Coronazeit ist das abgerissen. Wir haben jetzt mit Geburtstagsrunden und Plauderstunden angefangen, wo Richter und Vertragsbedienstete zusammentreffen und sich austauschen.

Kommen Sie selbst weiterhin als Richterin zum Einsatz?

Ich bin nur noch mit 15 Prozent in der Rechtsprechung tätig, den Rest nimmt die Justizverwaltung ein. Die Tätigkeit in der Rechtsprechung ist auch wichtig, um mit den Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu bleiben und noch „dabei“ zu sein.

Sie waren Richterin im „Domglocken-Prozess“, welche Verfahren sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Große Prozesse wie der Domglocken-Prozess bleiben im Gedächtnis, und vor allem Prozesse, die überdurchschnittlich viel Arbeit verursacht haben mit komplexen rechtlichen Auseinandersetzungen und vielen Verhandlungen, wo man sich manchmal gedacht hat, das hätte man vielleicht außergerichtlich „gerechter“ lösen können. Beim Urteil gibt es einen Gewinner und einen Verlierer. Bei den Verhandlungen ist es auch wichtig, dass jeder der Beteiligten zu Wort kommt, auch einmal Dampf ablassen kann, ohne dass gleich alles protokolliert wird. Oft ist irgendeine Kleinigkeit der Auslöser dafür, dass bei jemandem das Häferl übergeht. Bemerkenswert war für mich immer wieder, auf so viele verschiedene Persönlichkeiten zu treffen, das ist das Salz in der Suppe.

Haben Sie Wünsche an die Politik?

Wünsche an die Politik überlasse ich dem Oberlandesgericht und dem Ministerium für Justiz. Ein allgemeines Anliegen habe ich aber schon, dass die Politik keinen politischen Tauschhandel mit der Gerichtsbarkeit betreibt.

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