Coronavirus: Gottesdienstverbote in Geschichte beispiellos

Für die Kirchen hat die Corona-Krise paradoxe Folgen: Erstmals in der Geschichte des christlichen Abendlands gibt es weitreichende Gottesdienstverbote in mehreren europäischen Ländern.

Das ist eine historische Abkehr von der Tradition. Gleichzeitig steigt – wie oft in Krisenzeiten – das Interesse an Religion.

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„Das haben wir in der Geschichte der Kirche so noch nie erlebt, dass alle Gottesdienste abgesagt wurden – und das auch noch in der Passions- und Osterzeit“, sagt Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Viel Zuspruch haben dafür die Kirchenprogramme im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen. „Die Zahlen bei Gottesdiensten und dem ‚Wort zum Sonntag‘ haben sich im Durchschnitt um 70 Prozent erhöht.“

In Mittelalter und früher Neuzeit kamen todbringende Seuchen nahezu regelmäßig vor. Die erste große Pestepidemie – der „Schwarze Tod“ 1348/49 – löschte mancherorts große Teile der Bevölkerung aus. Doch war es selbstverständlich, dass sich Christen gerade in Epidemiezeiten versammelten. Um göttliche Hilfe zu erbitten, um Sühne zu leisten und auch um Trost zu suchen.

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„In vormodernen Gesellschaften haben religiöse Traditionen die gesamte Kultur überwölbt“, sagt Religionssoziologe Detlef Pollack von der Universität Münster. „Immer spielte die Religion die alles entscheidende Rolle.“ Heute gälten verschiedene Logiken. „Etwa eine Logik der Religion, eine Logik des Rechts, eine Logik der Wirtschaft, eine Logik des Gesundheitswesens – und dabei kommt es zu Konflikten und Inkompatibilitäten.“

Das ist in der Corona-Krise sichtbar. „Medizinische Notwendigkeiten können in Widerspruch zu dem menschlichen Bedürfnis nach Trost und Zuspruch treten, wie es in der Religion seinen Ausdruck findet“, sagt Pollack.

Gerade die Krankenfürsorge ist seit jeher Bestandteil kirchlichen Lebens. Ein Beispiel: die „Leprosenhäuser“ des Mittelalters, wo Leprakranke von der Gesellschaft separiert wurden. „Diese Häuser hatten aber stets eine eigene Kapelle, einen eigenen Gottesdienstraum, wo das private Gebet möglich war und von einem besonders dazu bestellten Kaplan die Heilige Messe gefeiert wurde“, sagt der Würzburger Kirchenhistoriker Dominik Burkard. Zur Abwehr der Pestgefahr wurden mitunter besondere Formen des Betens entwickelt wie das „Sechsstundengebet“, eine Art Volksandacht.

Gottesdienste fielen manchmal aus, wenn die Priester selbst einer Epidemie zum Opfer fielen. Doch Verbote wären allein deshalb schwer vorstellbar gewesen, weil Europas Herrscherhäuser sich zur Legitimation ihrer Herrschaft auf Gott beriefen.

Nach traditionellem katholischen Verständnis fehlte einem Herrscher ohne kirchlichen Segen jegliche Legitimation. Dementsprechend war staatliche Hoheit über Kirchenangelegenheiten für den Vatikan unvorstellbar. „Es wäre ein sehr ungerechtes und unbedachtes Unterfangen, die Kirche in der Ausübung ihres Amtes der politischen Gewalt unterwerfen zu wollen“, heißt es in der päpstlichen Enzyklika „Immortale Dei“ aus dem Jahr 1885.

Für traditionalistisch eingestellte Katholiken ist – ebenso wie für evangelikale Protestanten – auch heute noch eine Oberhoheit des Staats über den Glauben nicht akzeptabel. Nachzulesen ist das im konservativ-katholischen österreichischen Nachrichtenportal kath.net: „Wäre noch ein Glaube vorhanden, wäre die Heilige Messe gegenüber dem Staat verteidigt worden“, schreibt ein Nutzer namens Diadochus dort in einem Kommentar.

Zu den „Rebellen“ zählt auch der österreichisches Priester Franz Xaver Brandmayr, scheidender Rektor des deutschsprachigen Priesterkollegs Anima in Rom. Wenn ein Gläubiger die Kommunion empfangen wolle, werde er ihm das nicht verweigern, so der Geistliche zu „Vatican News“. „Da hört für mich der Gehorsam auf.“

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