„Da bin ich durch die Hölle gegangen“

Hubert von Goisern spricht über sein experimentelles neues Album „Zeiten & Zeichen“, was es ihm abverlangt hat und über Corona: „Ein bisserl weniger Konsum, tut uns allen gut“

Hubert von Goisern musste seine Herbst-Tour coronabedingt verschieben. Angepeilt wird jetzt das kommende Frühjahr, aber alles ist ungewiss.
Hubert von Goisern musste seine Herbst-Tour coronabedingt verschieben. Angepeilt wird jetzt das kommende Frühjahr, aber alles ist ungewiss. © APA/Barbara Gindl

Mit einem von den Nazis ermordeten Künstler beginnt es, mit sich in den Hintern kneifenden Murmeltieren endet es: „Zeiten & Zeichen“, das neue Album von Hubert von Goisern, das am Freitag erscheint, ist ein überbordendes, unzählige Stile abgrasendes Werk geworden. „Nicht viele Songs haben ein Verwandtschaftsverhältnis“, sagt der Sänger selbst. Aber wer ihn kennt, weiß: Stillstand ist für von Goisern keine Option.

Das hat er heuer schon mit der Veröffentlichung seines ersten Romans „flüchtig“ bewiesen, und nun legt er nach. Immer wieder seien ihm während des Schreibens Instrumente in die Hände gefallen, und als der Roman endlich fertig war, ging er seine Aufzeichnungen durch. „Da bin ich draufgekommen: Ich habe 40 gute Ideen für Lieder“, erinnert sich von Goisern. Ausgewählt wurden davon schlussendlich 18, wobei ein Stück mit „arabischem Touch“ noch von der Platte rutschte.

Rock, Tanz und Mariachi: „Nur ich bin der rote Faden“

Man kann es sich vorstellen, ist dieses fast 75 Minuten dauernde Opus doch ohnehin schon vielseitig wie kaum etwas aus von Goiserns Diskografie. Vom stampfenden Rockgestus in „Brauner Reiter“ über den Selbstversuch in moderner Tanzmusik („El Ektro“) bis zur amüsant-witzigen Mariachi-Verbeugung „Eiweiß“. Dazwischen gibt es traditionellere Nummern („Gamstod“), wird es mal balladesk („Dunkelrot“) oder setzt von Goisern zu einer Goethe-Neuvertonung an („Glück ohne Ruh“). Da weiß der Tausendsassa selbst: „Nur ich bin der rote Faden.“ Aber leicht hat er es sich oder seinen Fans ja schon bisher nie gemacht. Das beweist auch der fast siebenminütige, Hip-Hop- und Operette vermählende Opener „Freunde“, den von Goisern eigentlich über Franz Lehár schreiben wollte. Dabei stolperte er aber über dessen Librettisten Fritz Löhner-Beda, der in Auschwitz ermordet wurde. „Ich wollte wirklich eine Nummer machen im Sinne von: Freunde, das Leben ist lebenswert! Es wird ja so viel gesudert.“

Aber das Schicksal von Löhner-Beda habe ihn schwer mitgenommen, wie auch im Gespräch zu merken ist. „Da bin ich durch die Hölle gegangen, das zu schreiben und zu recherchieren.“ Live werde er das Stück, bei dem Rapper Dame und Opernsänger Andreas Schager mitwirken, nicht aufführen. „Das kann ich mir nicht vorstellen“, so von Goisern. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde, ob ich dem Publikum antun möchte, so tief in das hineinzudringen. Ich habe das Thema bisher immer vermieden“, gibt sich der Künstler nachdenklich. „Das Erinnern ist natürlich wichtig. Aber für mich war es zu heftig. Einmal habe ich mich nun extrem darauf eingelassen. Und jetzt weiß ich, warum ich immer einen Bogen darum herum gemacht habe. Es ist so fürchterlich, so unfassbar – dass der Mensch zu so etwas fähig ist!“

Die „Spreizung“ zwischen dem Ungeheuerlichen einerseits und dem, was das Leben dann doch lebenswert macht, verleiht diesem Stück eine besondere Intensität. „So ist das Leben. Man kann oft nicht glauben, dass dort, wo Krieg herrscht, Menschen noch leben, Kinder geboren werden, ein ,normales’ Leben stattfinden kann“, sagt von Goisern. „Das gilt in gewisser Weise auch für Corona: Der Mensch stellt sich darauf ein. Wenn du nicht anders kannst, wo sollst du denn hin? Und so war es damals auch. Es gab trotzdem noch Operettenaufführungen in diesem Wahnsinn. Man kann nicht aufhören zu leben.“

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

So erschütternd wie zu Beginn wird „Zeiten & Zeichen“ danach nicht mehr, auch wenn von Goisern seinen Hörern durchaus ins Gewissen singt. Etwa in seiner „Sinnerman“-Deutung „Sünder“, die sein zuletzt ausgelebtes USA-Faible gekonnt fortsetzt. Und dann die vielen tierischen Verweise, wie im abschließenden „Tierische Polka“mit (nicht nur) den schon angesprochenen Murmeltieren.

„Es gibt einige Sachen, die unter die Haut gehen“

Der Schmäh, er geht keineswegs ab auf diesem Album, das für den Künstler selbst „ein paar Killer“ bereithält: „Es gibt einige Sachen, die richtig unter die Haut gehen.“ Live sollte man all das voraussichtlich im Frühjahr 2021 erleben können, musste Hubert von Goisern doch wie viele Musiker seine für den Herbst geplante Tour coronabedingt verschieben. Welche Auswirkungen das Virus auch im kommenden Jahr haben werde, sei „schwer vorauszusagen“.

Natürlich sei es für Künstler, die „von der Hand in den Mund leben“, schwer. „Aber ich hatte auch Jahre, als ich von der Hand in den Mund gelebt habe. Dann gab es oft wochen- oder monatelang keine Engagements – da habe ich einfach etwas anderes gemacht. Es ist keiner zum Tode verurteilt dadurch.“ Der in den vergangenen Monaten teils zu spürenden Ruhe habe er jedenfalls durchaus Positives abgewonnen. „Diesen Overkill, den halte ich echt nicht mehr aus“, spricht von Goisern den gesellschaftlichen wie kulturellen Drang zu immer mehr Reizen an. „Ich glaube, es tut uns allen auch gut. Es ist nicht nur zach, dass das passiert ist mit Corona. Es hat sein Gutes, dass man reflektiert darüber – was wir wirklich brauchen und was notwendig ist, um ein schönes Leben zu haben und nicht nur um zu überleben. Ein bisserl weniger Konsum, auch in Sachen Kultur und Sport, tut uns allen gut.“

Das könnte Sie auch interessieren