Das bin doch gar nicht ich

„In Kepler's Garden“: Große Themenausstellung der Ars Electronica in der Kepleruni

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Die geballte „nerdige“, verschrobene Welt, so relevant sie für die Zukunft (und zum Teil schon jetzt) sein mag, überfordert irgendwann die Wahrnehmung. Virtuelle Räume, Imitationen der Wirklichkeit, oft schon „wirklicher“ als diese selbst. Geht spazieren! Atmet! Gerne auch: umarmt Bäume.

Lösungsvorschläge: am nahen Ententeich verweilen. Oder im schönen Klangpark alle Viere von sich strecken. Oder man stößt, zurück in der Ausstellung, auf die erschütternde, bezaubernde, wunderbar durchdachte Installation „How to make an Ocean“ der polnisch-ukrainischen Künstlerin Kasia Molga. Wie umgehen mit Traumatisierung? Molga hat während der Pandemie mehrere ihr nahestehende Menschen verloren.

Quasi Bäche von Tränen, die sie in der Folge wissenschaftlich und künstlerisch verwerten wollte. Die Tränen in Phiolen gesammelt, die Bestandteile analysiert. Die Tränen mit Meerwasser (Nordsee) vermischt, Algen entstanden. Molga hat überlegt, welche Nahrung sie zu sich nehmen müsste, damit durch ihre Tränen die „Algenzucht“ gedeihe.

Auf in den Zirkus

Verrückt? Großartig! Sinnlich, lebendig, auch noch mit wissenschaftlichem Output (Tränenflüssigkeit ist erstaunlich schlecht erforscht). Die Ars Electronica ist auch heuer eine Entdeckungsreise, die in ihrer Fülle Zeit und Muße erfordert. Am Mittwochabend eröffnete Bundespräsident Alexander Van der Bellen, das Gravitationszentrum des Festivals ist seit dem vergangenen Jahr in den Linzer Norden gewandert. Von einer „fantastischen Kooperation“ spricht Meinhard Lukas, der Rektor der Kepleruni.

Neu ist etwa die „Festival University“, 80 Studierende aus der ganzen Welt werden in Linz mit Ars-Aktiven zusammenarbeiten und ihre Resultate schließlich auf dem Linzer Hauptplatz präsentieren. Neu auch der „Zirkus des Wissens“, ein Herzensprojekt von Lukas. Im Innenhof des Schlosses Auhof angesiedelt ein „kleines feines Theater“ für Kinder und Junggebliebene, das den Entdeckergeist fördern und vor allem auch, so Lukas, sogenannte Bildungsferne erreichen soll.

Könnte gruselig werden

Bis Sonntag können sich Besucher dichte Kunst und Wissenschaft, verteilt auf dem Unigelände, reinziehen. Im Mensagebäude kritische Abteilungen, das LIT Robopsychology Lab der Kepleruni hinterfragt in „Demystify AI“ die Darstellung von Künstlicher Intelligenz in den Medien. Smarte schöne Welt, berechnender Grusel?

Die Zukunft ungewiss, tatsächlich gruselig könnte die elektronische Durchleuchtung des Menschen werden. Die deutsche Gruppe Laokoon hat für „Made to measure“ (Zum Vermessen gemacht) zwei Jahre lang experimentiert: Kann Künstliche Intelligenz anhand der Google-Zugriffe einer Person ein so genaues Profil von ihr erstellen, dass ein Doppelgänger diese Person auf der Bühne nachspielen kann? Der komplexe Vorgang im Internet gespiegelt, wer beobachtet am Ende wen? Ein Laokoon-Mitarbeiter beschreibt mögliche Bestürzung der Ursprungsperson: „So bin ich doch gar nicht!“

Kann Digitalisierung die Welt verbessern? Klares Ja angesichts eines Siegerprojektes von STARTS, einem von der EU ausgeschriebenen Wettbewerb. Für „Oceans in Transformations“ haben John Palmesino und Ann-Sofi Rönnskog drei Jahre lang akribisch Daten gesammelt, um zu verstehen, wie sich Ozeane – nicht zuletzt durch den Klimawandel – verändern.

NASA-Satelliten oder Meeresstationen messen seit geraumer Zeit, bloß zusammengetragen für ein Gesamtbild hat die riesigen Datenmengen noch kaum jemand. Der Nutzen des Projekts begleitet von ästhetisch einnehmenden Fotografien.

Eine Ästhetik des Verlustes? Man könnte sich mit der Putzigkeit von „Magic Eye“ trösten. Ein Roboter mit hundeähnlichem Gang, der gefinkelt Hindernissen ausweicht. Aber dieses Ding putzig zu finden, das fällt auch nur den fidelen Spiegelneuronen im eigenen Hirn ein.

Von Christian Pichler

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