Das Digitale umspült Realität

Festival FMR 21 am Mühlkreisbahnhof bis Sonntag, am Dienstag Eröffnung

Zum zweiten Mal nach 2019, heuer mit Zentrum Linzer Grünmarkt: Festival FMR, „ephemer“ heißt „flüchtig“.
Zum zweiten Mal nach 2019, heuer mit Zentrum Linzer Grünmarkt: Festival FMR, „ephemer“ heißt „flüchtig“. © FMR/Thomas Philipp

Demokratie! Globales Wissen! Transparenz! Erinnert sich noch jemand an die Internet-Euphorie Ende der 1990er-Jahre? Seither hat sich Skepsis breitgemacht. „Smarte“ Umgebungen, die das Selbstdenken ersparen.

Digitale Korsette, die den Alltag einschnüren oder erleichtern, je nach Standpunkt. Kryptowährungen, die den „freien“ Kapitalfluss begünstigen. Was auch immer das in der Praxis heißt.

Mit den Schnittstellen (noch so ein Wort, das sich längst in den Alltag geschlichen hat) zwischen virtueller und greifbarer Welt beschäftigt sich das fantastische Festival FMR 21, das am Dienstag (Eröffnung 19.15 Uhr) bis Sonntag in der Umgebung des Linzer Mühlkreisbahnhofs in Urfahr begeh- und bedenkbar ist.

Im besten Sinn niederschwellige Kunst, über die gleichermaßen aus dem Mühlviertel Pendelnde „stolpern“ oder sich Interessierte über das Internet vorinformieren und dann gezielt Kunstwerke ansteuern können. Für die zufällig Dazustoßenden: Vor Ort im klassischen Zeitungssackerl das FMR-Magazin, an den Orten mit Zentrum Urfahraner Grünmarkt informieren FMR-Menschen.

Wer bin ich ohne Daten?

Rund 20 Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus 13 Ländern, kuratiert von Jakob Dietrich, Julia Nüßlein und Thomas Philipp. Als Einstieg empfiehlt sich etwa „3D Desktop“ der Spanierin Edurne Herrán. Ausgangsidee waren Gedanken über einen heutzutage „schrecklichen“ Verlust, das Verschwinden aller persönlichen digitalen Daten.

Wie lässt sich das in der Realität verstehen? Hinter dem Gebüsch eines Weges vom Grünmarkt hat Herrán eine weiße Tafel hingestellt. Darauf gepinnt Stifte, ein Globus, Schere, Linse, zwei fette Bücher mit großem W (womöglich für Wikipedia).

Oben angebracht eine hinterhältig rot blinkende Kamera. Mit gebräuchlichen Gegenständen illustriert Herrán greifbar, was sonst elektronisch vom Bildschirm schimmert. Die Werkzeuge, die optischen Spielereien, bis zu digitaler Überwachung, der sich der Nutzer aussetzt (Tipp, noch immer sehenswert: Oliver Stones´ aufwühlender Film „Snowden“ von 2016).

Alles ist vergänglich

Bits und Bytes nicht greifbar, „aber das ist die Welt, in der wir mittendrin sind“, sagt Doris Lang-Mayerhofer. Die Linzer Kulturstadträtin eine FMR-Unterstützerin „der ersten Stunde“, begeistert davon, das Ungreifbare anschaulich zu machen: „Genau das kann Kunst!“ Julius Stieber, Linzer Kulturdirektor, ebenfalls ein Fan von Beginn an. Auf „exemplarische Weise“ setze das Festival um, was im Linzer Kulturentwicklungsplan (KEP) naturgemäß nur in Schlagwörtern steht: Kunst im öffentlichen Raum, Digitalisierung, das Zusammenspiel von freier Szene und Institutionen wie Linzer Salzamt und Kunstuni (hier auch ein hochkarätig besetztes FMR-Symposium).

FMR ein Wortspiel, „ephemer“ heißt flüchtig, vergänglich. Wie manifestiert sich digitale Kunst in der Realität? Vor der Haltestelle des Mühlkreisbahnhofs ein „postdigitales“ Plakat des Kanadiers Lucas LaRochelle, auf der anderen Straßenseite gebiert der Zufall Witz, Fastfood wirbt mit flinker Hauslieferung: „Das ist keine Kunst!“ An der viel befahrenen Rudolfkreuzung stationiert der Berliner Simon Weckert ausgerechnet seinen „Airmarket“: Tausche Pakete sauberer Luft (vgl. CO2-Abgaben!) gegen Preisgabe persönlicher Daten. Filipe Vilas-Boas (FR/POR) performt mit Facebook-„Kreuz“ und bestattet Privatheit („R.I.P., Rest In Privacy“). Der Finne Jaakko Myyri baute mit der Linzer Homosexuellen-Initiative HOSI ein digitales Archiv queerer Geschichten auf, die man, am Bernaschekplatz auf Skulpturen aus Heu liegend, als poetische Wolken digital abrufen kann.

Täglich laufend Führungen, Info: 21.linzfmr.at/de

Von Christian Pichler

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