Das Gesicht und die Lust am Experiment

Faszinierende Fotoausstellung „Faces“ in der Wiener Albertina

Max Burchartz, Lotte (Auge), 1928
Max Burchartz, Lotte (Auge), 1928 © Bildrecht, Wien 2021

Das menschliche Gesicht ist eine faszinierende Landschaft, lange war die Fotografie damit befasst, Menschen möglichst ähnlich und gefällig abzubilden. Als nach dem Ersten Weltkrieg auch die bürgerlichen Ideologien auf den Prüfstand gestellt wurden, schlug die Fotokunst ihnen ins Gesicht: „Faces“ heißt die Ausstellung, die die Albertina über „Die Macht des Gesichts“ ausrichtet (bis 24. Mai). 154 Fotografien, sieben Filmclips und sieben Bücher zeigen, wie radikal die Wandlung war, die sich während der Weimarer Republik vollzog.

Variationen eines Themas

Keiner der ausgestellten Künstler — unter ihnen sehr viele Frauen — haben sich darauf beschränkt, ein Gesicht eins zu eins ab zu fotografieren. Der Schweizer Helmar Lerski (1871-1956), der den Krieg in Palästina überlebte, kam vom Film, wusste vieles über Beleuchtung und lieferte mit der Serie „Metamorphosis“ ein bis dahin unikates Experiment: ein Männergesicht, immer wieder von verschiedenen Seiten beleuchtet zu gestalten, das jedes Mal anders und neu erscheint, oft wie eine Skulptur (und natürlich kommen einen die „Charakterköpfe“ von Franz Xaver Messerschmidt in den Sinn): Variationen eines Themas, des Themas Gesicht, wobei es nicht mehr um Ähnlichkeit und Individualität des gezeigten Menschen ging, sondern um Kunst — die Kunst der Fotografie. Um die experimentelle Lust, auszuprobieren, was sie alles kann.

Modelle des Frauseins

Fotografinnen haben sich oft selbst als Modell genommen und hatten offenbar jeglichen Spaß daran, sich zu verkleiden, Modelle 2des Frauseins durch „Kostüme“, Frisuren, Haltungen auszuschreiten. Man suchte das Groteske, das Schaurige, das Schockierende. Man „zerschnitt“ den Menschen — kombinierte Studien etwa von Augen oder rückte einem Ohr so nahe, dass es als solches nicht mehr zu erkennen ist, sondern wie ein abstraktes Gebilde erscheint.

Die erstaunlichste Lösung mit einem „Ausschnitt“ ist wohl dem Fotografen Max Burchartz gelungen, der aus einem Porträtfoto seiner Tochter eine Gesichtshälfte heraus nahm und es zu verblüffender Wirkung brachte. Viele dieser Fotos sind auf symbolische Aussage hin gestaltet.

Menschliches Elend

Die zwanziger und dreißiger Jahre des wirtschaftlichen Niedergangs haben die Fotografen auch dazu gebracht, menschliches Elend zu fotografieren — es gibt eine großartige Serie von August Sander, die aber nicht (wie die heute auf Spendenbitten affichierten Fotos großäugiger Kinder) manipulativ auf Mitleid abzielen, sondern auf eine Aussage.

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Ideologisch benützt haben auch die Nationalsozialisten sowohl Film wie Fotografie. Der letzte Saal der Ausstellung zeigt, wie viele begabte Künstler sich in den Propaganda-Dienst des Dritten Reichs gestellt haben. Der Jude Lerski hingegen fotografierte zur gleichen Zeit in Palästina nicht nur Juden, sondern auch Araber.

Von Renate Wagner

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