„Das ist nichts für schwache Nerven, das Ganze“

Schauspieler Murathan Muslu (39) über sein Lieblingsgenre, wie er sein Gehirn manipuliert und Elche

2019 war Murathan Muslu mit dem Film „Pelikanblut“ bei den Filmfestspielen Venedig.
2019 war Murathan Muslu mit dem Film „Pelikanblut“ bei den Filmfestspielen Venedig. © Starpix/Tuma/picturedesk.com

Er ist einer der erfolgreichsten österreichischen Schauspieler der Gegenwart. Angefangen hat Murathan Muslu seine beeindruckende Karriere als Quereinsteiger, bereits für seine erste Hauptrolle in einem Spielfilm („Risse im Beton“) wurde er als bester männlicher Darsteller mit dem Österreichischen Filmpreis und dem Schauspielpreis der Diagonale ausgezeichnet.

Gerade stand er für die ORF-Serie „Die Macht der Kränkung“ in Wien und Linz vor der Kamera.

VOLKSBLATT: Vor acht Jahren hat Ihre Schauspielkarriere mit Regisseur Umut Dag begonnen, jetzt drehen Sie wieder mit ihm. Nach so vielen gemeinsamen und erfolgreichen Arbeiten — läuft das dann wie am Schnürchen?

MURATHAN MUSLU: Man entdeckt sich immer wieder neu bei einem Projekt. Und da wir uns auch privat kennen, ja, da läuft das wie am Schnürchen.

Sie sind ja, so kann man das, glaube ich, sagen, per Zufall zu dem Beruf kommen. Ist es nach acht Jahren Ihr Traumberuf geworden?

Ich denke, jeder Beruf hat seine Vor- und Nachteile. In diesem Beruf ist das auch so. Ich habe eben nie mit diesem Beruf gerechnet, freue mich aber umso mehr, dass ich diesen Job jetzt machen darf. Das ist ein Privileg.

Ihre Karriere führt nur in eine Richtung — nach oben. Ihre Filme laufen auf Festivals, Sie sind auf den großen Streaming-Plattformen vertreten, Sie drehen mit Oscar-Preisträgern wie Stefan Ruzowitzky … Wie fühlt sich das an, was kommt da noch?

Ich lasse einfach alles auf mich zukommen. Das, was ich bekomme, das nehme ich gerne und ich gebe mein Bestes, auch in Zukunft. Ob das jetzt weiter die Karriereleiter hochgeht oder so bleibt, wie es ist, das kann man in diesem Beruf halt nie wissen. Ich bin grad so happy, wie es ist. Und bei neuen Sachen, da werde ich immer so neugierig.

Viele Künstler können wegen der Corona-Pandemie weniger oder gar nicht arbeiten. Gab es für Sie dadurch irgendwelche gravierende Einschnitte, Änderungen oder Absagen?

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Wie hatten für die Serie ein paar Drehplanänderungen. Aber prinzipiell kann ich im Großen und Ganzen sagen, dass das Team, die Produktion, sehr gut vorbereitet sind. Wie werden auch so oft getestet, so dass man das Ganze eher wenig zu spüren bekommt — bis auf die lästigen Masken natürlich.

Wie ist es, unter den Bedingungen zu drehen?

Ich bekomme das, ehrlich gesagt, gar nicht so mit. Bei diesem Dreh ist das Ensemble so groß, da hat man auch mehrere Drehpausen. Dadurch ist das Ganze auch übersichtlicher für die Schauspieler.

Wie oft sind Sie seit Mitte März denn getestet worden?

Ich schätze, an die 20 Mal. Man fühlt sich schon sicher am Set.

Sie haben jetzt auch in Deutschland und Skandinavien gedreht. Unter anderen Bedingungen?

In Skandinavien, da waren wir im mittleren Teil von Schweden und da waren echt wenige Menschen. Ich habe dort irgendwie mehr Elche gesehen als Menschen. Das war richtig angenehm. Und in Deutschland, da läuft das wie in Österreich.

Ein Filmstart, der mitten in diese Kinos offen-/Kinos geschlossen-Zeit fiel, war „Cortex“. Wie war’s mit Moritz Bleibtreu als Regisseur?

Ich weiß, dass er das zum ersten Mal gemacht hat und ich finde ihn einen klasse Regisseur. Er ist einer der wenigen Regisseure, der nach dem zweiten Take, wenn alle Schauspieler ihr Bestes gegeben haben, immer so ins Set reinkommt und meint: „Also, für mich war’s das, mehr brauche ich nicht!“ Da sieht man eben, dass er auch selber Schauspieler ist. Und dann kommt er mit dem Satz – wirklich jedes Mal kommt er mit dem Satz: „Machen wir noch einen zum Spaß. Vollkommen egal, was ihr macht, Hauptsache wir haben Spaß!“ Und im Endeffekt hat es wirklich Spaß gemacht, die Rolle in dem Film zu übernehmen.

Der Film wird wahrscheinlich neu starten, wenn die Kinos wieder offen haben …

Ich weiß nicht, was da jetzt geplant ist. Ich habe den Film selber gesehen. Da war ich im Kino im 1. Bezirk und da waren wirklich nur drei Menschen: Ich und ein Paar. Ich hoffe, für den Film, dass der noch einmal startet.

Könnten Sie sich vorstellen, wie Moritz Bleibtreu auch mal Regie zu führen?

Ja, das könnte ich mir vorstellen, aber ich glaube, um Regie zu machen, muss man für alles gewappnet sein, weil man so viele Entscheidungen treffen muss. Das ist für mich als Schauspieler schon schwer vorstellbar, obwohl ich in den letzten Jahren so viel Praxis hatte, dass ich da ja vielleicht doch was machen könnte …

Also noch nichts Konkretes?

Nein, dass ist einstweilen nur ein Gedankengang zwischen mir und mir selbst.

Für „Die Macht der Kränkung“ waren Sie schon fix besetzt, bevor noch die Regie feststand. Was hat Sie an dem Projekt, dem Thema gereizt?

Mit wird vorgeworfen, dass ich immer einen Bösewicht spiele. Das Ding ist aber, dass ich mich im Bereich Drama eher zuhause fühle als in einem anderen Genre. Umut hat mich da reingebracht und auch für die nächsten Jahre gewappnet. Für „Die Macht der Kränkung“habe ich zugesagt, weil es um Menschen geht.

Wie haben Sie sich denn – auch abseits der ganz persönlichen Ebene, die das Thema Kränkung mit sich bringt – vorbereitet auf die Serie? Es gibt ja Kampfsportszenen … oder haben Sie die im kleinen Finger?

Ne, ich werde auch älter. Wäre ich 30 gewesen, hätte ich gesagt, ja, habe ich im kleinen Finger. Aber jetzt, mit 39, spürt man da schon einige Wehwehchen. Wir hatten da auch eine kleine Verletzung, aber nicht so schlimm. Aber das ist auch nur eine Szene, ansonsten geht es um menschliche Beziehungen.

Im Frühjahr soll ja „Hinterland“, den Sie mit Stefan Ruzowitzky gedreht haben, ins Kino kommen. Da spielen Sie in der Hauptrolle einen Heimkehrer aus dem 1. Weltkrieg. Wie bereitet man sich auf so eine historische Figur vor, die so gar nichts mit der eigenen Realität zu tun hat?

Ich habe mich richtig, richtig toll drauf vorbereitet. Ich habe mir viele Dokumentarfilme angesehen, Bücher gelesen. Woran ich mich wirklich erinnern kann, obwohl das schon lange her ist, sind die schlimmen Bilder. Wenn ich mir Dokumentarfilme angeschaut habe, habe ich manchmal auf Freeze gedrückt oder mir Screenshots gemacht und mir das dann auch, etwa wenn ich einkaufen war, angesehen. Ich habe versucht, mein Gehirn ein bisschen zu manipulieren, so gut es geht eben. Es wurde ja alles vor einem Bluescreen gedreht und die Umgebung, die Setkulisse, ist dermaßen schief und verworren, abstrakt, surreal schon, dass das eigentlich das Innere meiner Selbst widerspiegelt. Auf jeden Fall war das eine Riesenerfahrung. Ich habe dafür einfach mein Bestes gegeben. Ich hoffe, den Leuten gefällt es.

Sie drehen wahnsinnig viel, ist es da schwierig, von einer Figur zur anderen zu wechseln? Das Alte hinter sich zu lassen, sich auf Neues einzustellen?

Ich kann mich erinnern, als ich neu angefangen habe, haben sich vor allem die älteren Kolleginnen und Kollegen immer so auf das Drehende gefreut und ich habe es nie verstanden. Die haben davon geredet, dass sie auf Urlaub fahren wollen, und sie freuen sich schon auf die Sonne und so … So naiv, wie ich war — umso mehr verstehe ich es heute —, habe ich mir gedacht, die sind ein bisschen halt … naja, da ich von der Baubranche komme, dachte ich mir, das ist eigentlich so leicht, was die da machen. Da habe ich die schon ein bisschen belächelt. Heute, muss ich sagen, verstehe ich sie völlig und komplett. Also, nach jedem Projekt würde ich heute jedem Kollegen raten, eine kleine Pause zu machen. Das ist nichts für schwache Nerven, das Ganze, wenn man sich da so richtig reinsteigert.

Mit Schauspieler MURATHAN MUSLU sprach Mariella Moshammer

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