Das Kreuz im kleinen Kreis

„Die Gegenstimme“, Romandebüt des Dramatikers Thomas Arzt

„Ein Rest verstockter Vaterlandsliebe“: Autor Thomas Arzt nähert sich den Motiven seines Großonkels Karl
„Ein Rest verstockter Vaterlandsliebe“: Autor Thomas Arzt nähert sich den Motiven seines Großonkels Karl © Joseph Krpelan

Der 10. April 1938, ein Palmsonntag, ein Dorf stimmt über den „Anschluss“ an Hitlerdeutschland ab: „Jetzt öffnet er das Kuvert. Legt es vor sich hin. Sieht die Frage, die überall bereits beantwortet, sieht die Kreise, die unterschiedlich großen, da muss er fast lachen, starrt an sich herunter, hat er sich angemacht? Er war sich nicht im Klaren, dass das hier seine Blase überfordern würde. Das Kreuz macht er beiläufig. Er hat es sich vorgenommen.“

Der 22-jährige Karl Bleimfeldner, Student in Innsbruck, kehrt für einen Tag und eine Nacht in seinen Heimatort zurück, um an der „Volksabstimmung“ teilzunehmen. Von den anderen Dorfbewohnern wird er misstrauisch beäugt.

Hat er sich in der Wahlkabine in die Hose gepinkelt, gar auf den Führer „geschifft“, wie sie hier sagen? Karl macht sein Kreuz im kleinen Kreis, stimmt als einziger im Ort mit Nein. Ein Held im Widerstand?

„Gegen dein Daheim“

Der gebürtige Schlierbacher Thomas Arzt, Jahrgang 1983, schreibt mitnichten eine Heldengeschichte. Schon gar keine über einen „edlen“ Helden, denn gerade dieses Klischee entlarvt Arzt beherzt. Er hat zum Neinsager, seinem Großonkel Karl Bleimfeldner, ausgiebig recherchiert, nennt am Ende „lediglich ein(en) Rest verstockter Vaterlandsliebe“ als Motiv.

Eine katholisch geprägte Zuneigung, von seiner Umgebung zugunsten einer sich neu und revolutionär gebärdenden Ideologie verraten: „Da ist´s ihm erst geschossen: Du stimmst nicht gegen irgendeine Politik da draußen oder da oben. Du stimmst einzig und allein gegen dein Daheim.“

Thomas Arzt hat als Dramatiker bereits schöne Erfolge gefeiert, „Die Gegenstimme“ ist sein erster Roman. Der Dramatiker und der Prosaautor hätten eine geglückte Beziehung eingehen können, in der „Gegenstimme“ kommen sie einander oft ins Gehege. Der Text ist schlecht ausbalanciert, lässt einen nie so richtig warm werden mit dem Buch.

Da kontrastiert witziger, naiv-jugendlicher Gedankenfluss („von der Reife lässt sie sich durchaus anziehen, die Cilli“) wenig später mit dem todernsten, wissenden, kommentierenden Raunen des Autors: „Erahnt sie, mit welcher Ungeheuerlichkeit gegen jene vorgegangen wird, die hier nicht mitmarschieren?“

Ein bisschen Schwab

Thomas Arzt lässt den Leser im Zwiespalt zurück, formal befriedigt „Die Gegenstimme“ nicht.

Arzt schwankt zwischen souveräner Stimme des Autors und allzu simpler dialektaler Kunstsprache (unvollendete Sätze; das Weglassen des -e am Ende eines Hauptworts, „die Frag“ etc.). Dann spricht wieder der „junge Wilde“ Arzt, ein schickes, auch schon wieder klischeebehaftetes Sprachberserkertum nach Art des 1994 verstorbenen Dramatikerkollegen Werner Schwab („die dunstige Schweinsbratengemütlichkeit“).

Auf der Habenseite: Arzt vermittelt an vielen Stellen überzeugend die Atmosphäre, in der Mitläufertum, kollektiver Zwang und männliche Selbstherrlichkeit zur Katastrophe von Krieg und Vernichtung führten.