Das Linz der Ilse Aichinger

Ausstellung im Stifterhaus beleuchtet Kindheitsjahre der Literatin in Linz

Die Ausstellung im Stifterhaus ist auch visuell sehr ansprechend.
Die Ausstellung im Stifterhaus ist auch visuell sehr ansprechend. © Land OÖ/Ehrengruber

Sie zählt zu den ganz großen österreichischen Schriftstellerinnen — Ilse Aichinger, deren 100. Geburtstag am 1. November begangen wird. Ihre Kindheitsjahre in Linz und der Einfluss, den die Stadt und ihre Menschen auf ihr Werk ausgeübt haben, fanden bisher wenig Beachtung.

Eine liebevoll gestaltete Ausstellung mit dem Titel „Das grüne Märchenbuch aus Linz. Ilse Aichinger (1921-2016)“ im Stifterhaus beschäftigt sich nun damit und will den Besuchern auch die Hemmungen davor nehmen, sich ins Werk der Autorin zu vertiefen — jede Menge Lesestoff inklusive.

Kästen gefüllt mit Erinnerungen

Ein Kasten, zur Hälfte mit Ziegeln gefüllt, darüber Kindheitsfotos, erzählt von Aichingers frühen Begegnungen mit der Landesirrenanstalt Niedernhart. Sie und ihre Zwillingsschwester waren drei, als die beiden von ihrem Kindermädchen Emma Schrack, die selbst kurze Zeit davor versehentlich (!) aus der Anstalt entlassen worden war, bei Spaziergängen hierher gebracht wurden.

Ein anderes Stück ist nicht mehr aufzufinden: Das grüne Märchenbuch, aus dem die Eltern nicht nur vorlasen, sondern auch erzählten und so die Geschichten lebendig werden ließen, brachte Aichinger als kleines Mädchen mit „grimmigen“ Texten in Kontakt. Eine Szene in einem Märchen, in der ein Opfer mit Worten Widerstand leistet, soll sie am meisten beeindruckt haben und später auch für ihr Schreiben typisch werden: sich dagegen stellen mit Sprache. Auch mit Märchen wird sie sich als Autorin auseinandersetzen.

Kuratorin Christine Ivanovic bringt jede Menge interessante biografische Details in die Ausstellung ein. Zwei Kästen etwa sind mit Fotos, Büchern und Texten zu Aichingers Eltern gefüllt. Vater Ludwig unterrichtete, erlangte als Literaturvermittler Bekanntheit und schrieb auch selbst. Aichingers Mutter Berta, Jüdin und die erste Jugendamtsärztin der Stadt, widmete sich auch dem Komponieren. Ilse studierte einige Semester Medizin und verschrieb sich dann erst völlig der Literatur.

Eine Verbindung, die nicht abriss

Ein schwerer Schlag traf die Familie noch in Linz: Der Vater häufte durch seine Büchermanie einen riesigen Schuldenberg an, Berta ließ sich 1927 von ihm scheiden und ging mit ihren Töchtern nach Wien. Damit endete die Linzer Zeit für Ilse Aichinger. Die Verbindung mit Oberösterreich riss nicht nur wegen des später im Mühlviertel lebenden Vaters nicht ab.

Korrespondenz zwischen Ilse und ihm zeigt in der Ausstellung, wie sehr Ludwig seine Tochter im Schreiben bestärkt und unterstützt hat. Und auch die Stadt Linz bemühte sich um die dann schon renommierte Autorin: Von 1952 bis 1981 schrieb Aichinger insgesamt 19 Beiträge für das Literarische Jahrbuch.

Erinnerungen an ihre Kindheit in Linz publizierte sie jedoch erst in späteren Jahren. Eine Vitrine widmet sich ihrer Beziehung zu Adalbert Stifter, mit dem sich Aichinger viel beschäftigte und dem sie in einem Rundfunkvortrag 1955 — in Ausschnitten nachzuhören — ein beeindruckendes Denkmal gesetzt hat.

Bemerkenswert nicht nur die Inhalte, sondern auch die ideenreiche Aufbereitung der Schau: Für jedes Literarische Jahrbuch mit einem Beitrag Aichingers wurde eine Stele an der Wand gestaltet, hier kann man die Texte in chronologischer Reihenfolge nachlesen. Damit wird auch eine Entwicklung — nicht nur jene Aichingers, sondern zudem die gesellschaftliche — sichtbar. Als Blickfang und Märchenreminiszenz eine Leihgabe aus dem Landesmuseum, ein Wolf; in von der Decke hängenden Kokons kann man sich zurückziehen und Texten von Aichinger lauschen. Neue Zugänge zu einer bekannten Autorin, über die es noch viel zu entdecken gibt.

Von Melanie Wagenhofer

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