Das Spiel mit den Vergangenheiten

Viggo Mortensens Regie-Debüt „Falling“ als differenziertes Familienbild

Viggo Mortensen (r) spielt in seinem Regiedebüt „Falling“ John, seinen Vater Willis der herausragende Lance Henriksen.
Viggo Mortensen (r) spielt in seinem Regiedebüt „Falling“ John, seinen Vater Willis der herausragende Lance Henriksen. © Filmladen

Erinnerungen verblassen, andere werden deutlicher, je weiter wir uns von der einstigen Realität entfernen. Vieles ist vielleicht nie so geschehen, wie es vor unserem geistigen Auge immer wieder auftaucht.

Viggo Mortensen lässt sich in seinem Regiedebüt „Falling“, für das er auch das Drehbuch geschrieben hat, auf das Spiel mit den Vergangenheiten ein. Dreh- und Angelpunkt des Films, aber auch der Familie, ist Willis (Lance Henriksen). Wir begegnen ihm erstmals mit seinem Sohn John (Mortensen) in einem Flugzeug. Willis ist alt, scheint nicht zu wissen, wo er ist, beschimpft in seiner Unsicherheit den Sohn.

John reagiert geduldig, er kennt solche Situationen. Was anfangs aussieht wie eine Demenz-Phase, kristallisiert sich immer mehr als Wesenszug von Willis heraus: Entschuldigung, aber er ist ein unglaublicher Ungustl, ein präpotenter Macho, ein homophober und sexistischer Prolo.

Das sagt ihm aber ganz lange niemand. Wie in Watte wird der Alte gepackt, egal ob er den Ehemann seines Sohnes beschimpft, dessen längst verstorbene Mutter und eigentlich alle Menschen. die mit ihm je zu tun hatten. „Entweder, oder“ lautet die Devise der Familie, denn einmal einen Streit zugelassen, könnte der nur im finalen Supergau enden.

Der Sohn als erfüllte Hoffnung

Es ist eine plausible Familiengeschichte, die Mortensen erzählt. Und es ist eine Geschichte von Männlichkeit, von übersteigertem Selbstwertgefühl in einer Welt, in der so ein Mann gar keinen Wert mehr hat, in der Gehabe nur noch lächerlich ist. Und da ist dann auch noch diese Verbundenheit, die Vater und Sohn aneinanderkettet.

Als kleiner Bub scheint John in einem Moment alles an erfüllter Hoffnung zu verkörpern: Als er aus der Hüfte heraus eine Ente abknallt, sie aus dem Wasser fischt, mit ihr badet und sie mit ins Bett nimmt, sie aber dann auch, ohne zu zögern, mit seiner Mutter zubereitet und isst. Ein andermal wirft Willis seinem jugendlichen Sohn, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Pferd, die Narbe bleibt.

Wer erinnert sich woran? Ist es die Gnade des Alters, dass Willis immer wieder in jene Vergangenheit entschwindet, in der er andere glücklich macht? Oder dient auch das immer nur der eigenen Freude? Teilt John die zufriedenen Momente, oder sind seine Erinnerungen an einen brutalen und herzlosen Vater die wahren?

Dass eine Schlüsselszene von „Falling“ ins Hollywood-Drama driftet, sei Viggo Mortensen verziehen. Nicht nur retten die beiden überzeugenden Hauptdarsteller den Moment mit ihrem Spiel, der Rest des Films zeigt ein differenziertes, verbindendes, schmerzliches, versöhnliches, aber auch zutiefst toxisches Beziehungsgeflecht, wie es nur in Familien vorkommen kann.

Von Mariella Moshammer

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