Das Trauma und die Tapferkeit

Lentos: Ukrainische Künstler in der Ausstellung „Can you see what I see“

Groteskes, kaputtes „Kino“ vor dem Lentos.
Groteskes, kaputtes „Kino“ vor dem Lentos. © Reinhard Haider

Krieg der Feind des Menschen. Menschengemacht. Infoflut auf allen Kanälen. Weißes Rauschen. Vor dem Museum Stühle, zum Teil umgekippt. Abstrakt, verlassen, grotesk. „Can you see what I see“, fragt die ukrainische Künstlerin Anastasiya Yarovenko (Kannst du sehen, was ich sehe?). Der womöglich zufällig vorbeischlendernde Passant sieht am Museum vier Bildschirme, darauf weißes Rauschen. Immer wieder formen sich Schlagwörter und Zahlen wie „24. Februar 2022“.

Sprache versagt, die Wörter kaputte Krücken, der 24. Februar der Tag, an dem das Leben für 44 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen „aus den Fugen“ geriet. Russland griff den souveränen Nachbarstaat an, Krieg in Europa. Yarovenko, in Wien lebende Künstlerin, hat noch Teile der Familie und Freunde in der ukrainischen Heimat. Die Frage „Wie geht´s dir?“ gleichbedeutend etwa mit „Steht dein Haus noch?“.

Eine Freundin, die monatelang in Mariupol im Keller saß. Draußen Wasser holen lebensgefährlich. Viele grässliche Geschichten dieser Art. Yarovenko erzählt, wie über Social Media Informationen und Bilder zum Krieg einherprasseln. Oft wird es ihr – weißes Rauschen! – zu viel: „Ich muss mich auch selbst schützen!“

Entsetztes Staunen

Yarovenko lud vier Künstler ein, stellvertretend für über Jahre blühendes zeitgenössisches Kunstschaffen in der Ukraine. Auf vier Bildschirmen im Foyer des Linzer Kunstmuseums Lentos zwangsläufig nur ein Hauch dieses fruchtbaren Schaffens. Alvetina Kakhidzes oft bewusst „kindlich“ gehaltene Cartoons, entsetztes Staunen über die Sinnlosigkeit des Krieges. Kateryna Lysovenko greift Themen wie Gewalt und Schikanen auf, Schatten der Sowjet-Vergangenheit über der Ukraine. Zu sehen im Lentos auch Oleksiy Radyenskis 11-minütige filmische Ode an die Landschaft von Kiew und zwei Kurzfilme von Mykola Ridnyi.

Eine „kleine“ Ausstellung nur, damit auch Spiegel der ukrainischen Gegenwart. Was lässt sich jetzt schon großartig über den Krieg sagen, der alle einfach nur überfordert? Die Form passend, nicht einmal Hilfeschreie. Mehr ein Japsen, Lebenszeichen von Künstlern, die in ihrer Heimat und darüber hinaus für zeitgenössisches Kunstschaffen stehen.

Die Ausstellung ein „Zeichen für Solidarität und Frieden, ein Zeichen von Europa an die Ukraine“, sagt die Linzer Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer. Wörter des Anstands, doch Wörter mickrig angesichts der Kriegswalze. „Can you see what I see“ gibt eine leise Ahnung davon, was zerstört wird, wie Menschen zerstört werden. Und tapfer trotzdem Widerstand leisten.

Von Christian Pichler

„Can you see what I see“ im Lentos, bis 31. August. Anastasiya Yarovenko derzeit auch in der Linzer Galerie MAERZ, „Hi! How are you?“, ebenfalls zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

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