Das Virus im System

Warum Corona doch nicht als Nachweis für eine Überlegenheit autoritärer Systeme taugt

Im Oktober soll der Berliner Flughafen mit neunjähriger Verspätung endlich in Betrieb gehen. Im Web gibt es zu dem Fiasko schon eine eigene Seite mit einschlägigen Witzen. Zum Beispiel den: „Die Baufirma, die das Krankenhaus in Wuhan gebaut hat, hat sich bereit erklärt, den Berliner Flughafen fertigzustellen. Sie haben zwei Termine vorgeschlagen: Dienstagnachmittag oder Mittwochvormittag.“

Auf Facebook kursiert der Witz in einer Linzer Version, in welcher die Chinesen den Bau der Donaubrücken an einem Tag anbieten.

Effizienter Schein

Der Humor hat einen realen Kern. In ihm schwingt Bewunderung für in unseren Breitengraden Unverstellbares mit. Tatsächlich verfolgte die Welt zunächst mit Staunen den generalstabsmäßig organisierten Kampf des chinesischen Staatsapparates gegen das Coronavirus. Mittlerweile steht in Wuhan nicht nur das binnen acht Tagen gebaute 1000-Betten-Notspital, ein zweites mit 1500 Betten wird oder wurde gerade fertig.
Das Virus schien auf eine ziemlich effiziente Abwehr zu stoßen. Millionenstädte wurden abgeriegelt und zur Quarantänezone erklärt. Die Bürger akzeptieren ohne hörbares Murren staatlich angeordneten Hausarrest oder tragen Mundschutz, wenn sie doch raus dürfen. Wer ohne Maske rumläuft, den fordert die über ihm schwebende Polizeidrohne zu vorschriftsmäßigem Verhalten auf.

Hierzulande undenkbar

Man stelle sich so einen infektiösen Ausnahmezustand hierzulande vor. Auf jeden Fall wäre es völlig undenkbar, derart massiv in den Alltag der Bürger einzugreifen. Wagte es die Politik dennoch, hätte die Justiz bis hin zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof viel zu tun. Jegliche Zwangsmaßnahme — ob sinnvoll oder nicht — würde Widerspruch — ob sinnvollen oder nicht — provozieren. Und ob unser Bundesheer ein 1000-Betten-Spital in einer Woche hinkriegen würde, wollen wir auch erst einmal sehen.
Manch einer mag zu Beginn des Cornona-Dramas insgeheim mit einer chinesischen Lösung für Probleme geliebäugelt haben, die hier in Europa und besonders in Österreich zu gefühlten Ewigkeiten in Genehmigungsverfahren führen.

Trügerische Ordnung

Da zeigen sich eben Vorzüge eines straff geführten Systems, das auf der Unterordnung des Individuums unter das große Ganze basiert. Gesellschaften, in denen der Primat des Individualismus gilt, scheinen die schlechteren Karten zu haben, wenn es darauf ankommt, Bedrohungen in einer kollektiven, auch erzwungenen Anstrengung abzuwehren.
Doch während die chinesische Propaganda Erfolge an der europäischen Witzfront feiert, wird klar: das Coronavirus ist doch kein Stoff, aus dem ein sozialistisches Heldenepos geschrieben wird. Das liegt allerdings weniger an Unzulänglichkeiten beim Krisenmanagement nach der großräumigen Ausbreitung des Virus. Diese brächte jedes System an seine Grenzen. Es geht vielmehr um eine systemimmanente Schwäche, die bewirkt, dass ein kleines Problem erst zum großen wird. Autoritäre Systeme neigen dazu, jede Abweichung vom idealen Schein mit allen Mitteln aus der Wahrnehmung zu drängen.

Fehlende Alarmsensoren

Alarmsensoren, die in freien Gesellschaften oft schon als lästig empfundenen werden, existieren entweder gar nicht oder werden, sobald sie anschlagen, abgeschaltet. So ein Sensor war Li Wenliang. Der Arzt hatte frühzeitig vor dem Virus gewarnt, wurde aber wie andere Warner mundtot gemacht, ehe er selbst der tödlichen Infektion erlag. Der letztlich gescheiterte Versuch, die Wahrheit zu unterdrücken, förderte die Ausbreitung des Virus. Als Fehler im Krisenmanagement nicht mehr zu leugen waren, opferte die KP ein paar Funktionäre. Auch das ein typisches Reaktionsschema eines vom Totaltitarismusvirus befallenen Systems, dessen Priorität es ist, sich niemals von niemandem infrage stellen zu lassen.

Analyse von Manfred Maurer

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