„Das war eine grenzüberschreitende Erfahrung“

Franz Rogowski („Luzifer“) über Glaube, Depression und eine besondere Beziehung

Franz Rogowski 2021 bei den Filmfestspielen in Cannes
Franz Rogowski 2021 bei den Filmfestspielen in Cannes © AFP/V. Hache

Franz Rogowski dreht gute Filme, richtig gute Filme. Ob mit Michael Haneke „Happy End“, mit Christian Petzold „Transit“ und „Undine“, „A Hidden Life“ mit Terrence Malick und zuletzt an der Seite von Georg Friedrich „Große Freiheit“ von Sebastian Meise.

Aktuell ist der 36-jährige deutsche Schauspieler in „Luzifer“zu sehen. Der österreichische Regisseur Peter Brunner erzählt darin die Geschichte von Johannes, der mit seiner Mutter fernab der Zivilisation lebt.

VOLKSBLATT: „Luzifer“ ist ein fordernder Film, alles andere als leichte Kost. Was hat Sie dazu bewogen, diese intensive Rolle zu übernehmen?

FRANZ ROGOWSKI: Mich hat das Drehbuch überzeugt, und das, was Peter Brunner da vorhatte, war für mich von Anfang an spannend. Es war so angelegt, dass — bis auf mich — sehr viele echte Menschen und sehr viel echte Natur mitspielen und mit Susanne Jensen bin ich mit einer Wahnsinns-Hauptdarstellerin zusammengekommen.

Johannes und seine Mutter leben abgeschieden, nur mit sich und Tieren. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Wir haben lange mit dem Adler gearbeitet, um die Beziehung glaubhaft und echt hinzubekommen. Man muss wissen, dass ein Steinadler wirklich nicht zu unterschätzen ist. Der hat wahnsinnige Kräfte und ziemlich gefährliche Klauen. Man muss den Vogel und seine Füße wirklich gut managen, sonst hat man schneller, als man gucken kann, ziemlich tiefe Fleischwunden. Ich habe gelernt, wie man miteinander spazieren geht, sich mit ihm im Wald verabredet.

Kann man denn eine Figur spielen, wenn man eine Beziehung zu einem Tier aufbaut?

Der Adler merkt sofort, wenn man nicht authentisch ist. Im Umgang mit dem Tier war ich am meisten gefordert, keine schlechten, unechten Energien aufkommen zu lassen, weil der Adler einen da bestraft. Der geht weg oder haut einem eine rein.

Sie mussten dafür auch aus der Rolle rausgehen?

Ich glaube, der Übergang war da wirklich fließend. So ein Adler hat ja nur mäßiges Interesse an einem als Person. Er interessiert sich dafür, ob er sicher ist, ‚was zu essen hat. Ich habe beim ersten Treffen mit dem Adler versucht, mich meiner Film-Figur anzunähern, dem Adler nicht als Franz zu begegnen, um mich nicht dann am Set anders zu bewegen oder zu sprechen. Um den Adler nicht zu verstören, der wollte ja keinen Film drehen.

Wie lief die Zusammenarbeit mit Susanne Jensen?

Die Beziehung zu Susanne, der Mutter, war eine sehr spezielle Rollenarbeit. Weil Susanne selbst zu mir gesagt hat, sie wolle gar nicht spielen, sie möchte, dass wir in der Zeit des Drehs wirklich Mutter und Sohn werden. Weil sie keine Kinder hat und sich in den letzten Jahren Kinder gewünscht hat. Dadurch waren alle normalen Herangehensweisen pulverisiert. Ich war dann während des Drehs Susannes Sohn. Nicht nur vor der Kamera, wir haben eigentlich während der ganzen Zeit eine Beziehung gelebt.

Wie war das für Sie?

Neu! Ich habe natürlich auch eine Mama, so wusste ich ein Stück weit, was auf mich zukommt. Aber Susanne ist ganz ganz anders, und das war eine sehr intensive, grenzüberschreitende Erfahrung.

Ein weiterer Mitspieler ist die rohe und gewaltige Natur. Konnten Sie als Wahlberliner damit gut umgehen?

Es war sehr schön, ich liebe die Berge. Ich habe in Berlin ja gar keine Berge um mich und somit auch immer eine Sehnsucht danach. Es ein wahnsinnig schöner und kraftvoller Nebeneffekt dieses Films, dass wir uns monatelang in dieser unwirklichen, aber wunderschönen Natur aufhalten konnten. Das war überhaupt kein Hindernis, das war eine große Bereicherung.

Auch der Verzicht auf Zivilisation? Könnten Sie damit — jedenfalls zeitweise — leben?

Absolut. Ich lebe zwar mitten in Berlin, aber bin eher so der zurückgezogene Einsiedler, und in dem Fall hat dann auch mal das Umfeld richtig gut gepasst.

Johannes´ Mutter ist bestimmt von einer radikalen Religiosität. Können Sie etwas mit Religion anfangen?

Ich kann damit ‚was anfangen und würde mich selber als spirituellen Menschen beschreiben, wenn man so will, auch gläubig. Aber bei uns ist Glaube auch an die christliche Deutung und solche Konzepte von Schuld und Sühne gekoppelt. Dazu habe ich jetzt persönlich nicht so einen starken Bezug. Ich bin natürlich auch aufgewachsen in einem christlichen Land, aber ich würde sagen, dass mein eigener Glaube nicht so viel mit den Figuren der Bibel zu tun hat, wie der Glaube von Johannes Mutter im Film.

Der Film wurde vor Corona gedreht, niemand wusste damals, dass diverse Lockdowns viele Menschen in so eine Einsamkeit treiben werden. Wie haben Sie die vergangenen zwei Jahre überstanden?

Am Anfang hatte ich auch eine lange Zeit, wo ich nicht wusste, was kommt. So 14 Monate, wo ich sehr auf mich zurückgeworfen war. Das war anstrengend. Ich hatte ja die luxuriöse Position, dass ich durch die Arbeit der letzten Jahre davon ausgehen konnte, dass es weitergeht, und es waren damals auch Filme in der Postproduktion. Dadurch war ich eigentlich behütet. Aber selbst mir ging es streckenweise so, dass ich überhaupt nicht mehr wusste, welche Art von Normalität denn eines Tages wiederkommt. Viele Freunde, die am Theater arbeiten, die waren zwar durch den Staat geschützt, hatten aber nichts mehr, was sie spielen konnten. Ich bin da durch den Film mehr gewöhnt, dass ich in Phasen keinerlei Struktur von außen bekomme. Aber das war dann irgendwann von Depressionen und einer gewissen Hoffnungslosigkeit begleitet. In der zweiten Hälfte der Corona-Zeit habe ich aber auch wieder viel drehen können.

Sie sind kurz hintereinander in zwei österreichischen Produktionen zu sehen. Haben Sie Gefallen daran gefunden, mit Österreichern bzw. in Österreich zu drehen?

Ich fand schon immer, dass Österreich, im Verhältnis auch zu Deutschland, erstaunlich viele tolle Filme hat und wahrscheinlich eine Förderlandschaft, die anderes strukturiert ist, was Autorenfilme betrifft. Und Leute, die ihr eigenes Ding machen wollen. Ich bin ein großer Fan von Wien, habe vor langer Zeit mit Henri Steinmetz einen meiner ersten Filme gedreht, dann mit Michael Haneke. Die Verbindung zu Wien ist für mich auch eine Liebesbeziehung, eine Fernbeziehung.

In der fantastischen Paarung mit Georg Friedrich waren Sie auf der Shortlist für die Oscars. Sie sind international erprobt, auch was die großen Festivals betrifft. Ist Hollywood trotzdem ein Traum?

Filme leben ja nur, wenn sie gemacht und geschaut werden. Und sie bleiben lange Schnittstellen zwischen denen, die sie machen und denen, die sie schauen. Da ist es schon genial, wenn sie so viel Aufmerksamkeit bekommen. Der Oscar ist der berühmteste Filmpreis und auch von Sagen umwoben und ein sehr aufregendes Ereignis. Wenn man da nominiert wird – das ist schon sehr spannend.

Wohin führen Sie denn Ihre nächsten Projekte?

Mein nächstes führt mich nach Australien, und zwei im Herbst und Winter gedrehte Filme werden gerade geschnitten und kommen dann hoffentlich dieses Jahr auf die Festivals und ins Kino. Im Herbst verschlägt es mich dann wieder in die Berge, diesmal aber auf die italienische und Schweizer Seite der Alpen.

Die Figuren, die Sie spielen, werden gerne als „außergewöhnlich“beschrieben. Würden Sie gerne mal den berechenbaren Spießer geben?

Ja, auf jeden Fall! Das reizt mich. Wir sind aber da alle nicht so frei, wie wir es manchmal gerne wären. Natürlich wird man auch benutzt, im guten wie im schlechten Sinne, für das was man eben so mitbringt. Ich empfinde die Figuren, die ich gemacht habe, als sehr unterschiedlich, aber natürlich besitzen sie alle eine Gemeinsamkeit. Wir wollen manchmal alle aus unserer Haut, aber manchmal ist es auch ganz schön, diese Haut anzuerkennen.

Mit FRANZ ROGOWSKI sprach Mariella Moshammer

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