Der große Irrtum Multitasking

arte-Stream: „Multitasking – Wie viel geht gleichzeitig?“

Die Segnungen des digitalen Zeitalters – nicht für jede und jeden.
Die Segnungen des digitalen Zeitalters – nicht für jede und jeden. © H_Ko - stock.adobe.com

Das menschliche Gehirn ist enorm selektiv. In Datenmengen gerechnet, prasseln pro Sekunde elf Millionen Bit (über Augen, Ohren etc.) auf das Gehirn ein. Bewusst verarbeiten kann es aber in dieser Zeit aber nur elf bis 60 Bits. Also nur ein Millionstel oder ein bisschen mehr.

Der Begriff „Multitasking“ kommt aus der Informatik. Wie viele Tasks (Aufgaben) kann ein Betriebssystem lösen? Das Wunderwerk Gehirn ist quantitativ begrenzt. Umfassende Digitalisierung erhöht die Belastung enorm.

Experimente wurden gemacht. Das Handy im Auto reduziert die Aufmerksamkeit um 40 Prozent. Das entspricht 0,8 bis 1,1 Promille Alkohol im Blut. Randnotiz: Bei 50 km/h zwei Sekunden Unaufmerksamkeit bedeuten 28 Meter im Blindflug.

Zwei oder mehrere Aufgaben gleichzeitig zu lösen bedeutet Stress. Stress schädigt nachweislich. Funktioniert Lernen bei Musikbeschallung? Im Gegenteil. In Zürich ein Experiment, englische Vokabeln lernen zu Musik von Beethoven.

Auf Dauer muss das Gehirn die Musik „unterdrücken“, was es nicht lange schafft. Liegt´s nur an Beethovens Heftigkeit? Nein, auch der smartere Vivaldi löst regelrechte „Gewitterwellen“ im Gehirn aus, was im Labor auch sichtbar gemacht werden kann.

25 Prozent Umsatzverlust

Die Leistung von Studierenden, die einem Vortrag unter Verwendung von Smartphone oder Tablet folgen, reduziert sich um ein Drittel. Wie wirkt sich Multitasking im Arbeitsalltag aus? Studien wurden gemacht in Kliniken, von Pflegekräften, in Koblenz eine fiktive Lkw-Fabrik gebaut. Resultat: Multitasking ist für 25 Prozent Umsatzverlust verantwortlich. Das Schweizer Unternehmen Endress + Hauser (Messtechnik) stellte von Großraumbüros auf Teaminseln um, fokussierte die Planungen auf 14 Tage. Steigerung des Outputs durch klare Vorgaben: erst Besprechung im Team, dann ungestörtes Arbeiten.

Die aufschlussreiche 53-minütige Reportage „Multitasking – Wie viel geht gleichzeitig?“ im Kultursender arte bündelt Erkenntnisse von mehreren Forschungszweigen. Neben der heiligen Kuh Arbeitswelt bekommen in der 53-minütigen Reportage (Katrin Kramer und Marion Schmidt, Deutschland 2021) persönliche Befindlichkeiten nur wenig Raum. Immerhin ein kurzer Einschub, was im Innenleben von „Leistungsträgern“ abläuft. Lustzentrum im Gehirn und Belohnung durch Dopamin, die süchtig macht (Nebenthema: „Likes“!). Burnout und parallel laufende Erschöpfungsdepression. Der kaputte, einst effiziente Mensch, sofern abgesichert und in einem wohlgesonnenen Unternehmen, lernt Seele baumeln lassen mit fernöstlichen Entspannungstechniken.

Finalmente, sind Frauen die besseren Multitasker? „Keine Unterschiede“ der Geschlechter stellte eine Psychologin nach Experimenten in Aachen fest. Das Gerücht floriert, weil Frauen im Alltag öfter mit Multitasking-Situationen konfrontiert sind. So ein Klischee ist auch bequem, zumindest für Männer.

arte.tv/de, bis 17. 2., in „Lupe“ Stichwort „Multitasking“

Von Christian Pichler

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