Detektivische Zeitreise

In Wien gehört es ja im Kaffeehaus zum guten Ton, dass der Kellner grantig ist. Außerhalb der Bundeshauptstadt sieht das anders aus, und als Gast freut man sich, höflich und nett behandelt zu werden — im Kaffeehaus genauso wie im Hotel. Dass hinter einem freundlichen Lächeln aber viel stecken kann, zeigt das Buch „Keine Ostergrüsse mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera“, gerade erschienen bei Edition Patrick Frey. Ein aufschlussreiches Werk, das als Urlaubslektüre gerade recht kommt.

Wenn diese Mauern sprechen könnten: Das Grandhotel Waldhaus prägt seit dem späten 19. Jahrhundert den Kurort Vulpera, dessen Bedeutung durch den Tourismus maßgeblich verändert wurde. © R. Guler

nscheinbar, beige, und es sind nicht viele Worte darauf geschrieben. Die meisten mit Schreibmaschine, ein paar handschriftlich ergänzt. Doch aufmerksame Leser erfahren viel bei der Lektüre der Karteikarten:
Herr Dr. Georg Soloveytchik ist Journalist, wohnhaft in London. Die Adresse, die er angibt, ist allerdings die eines Hotels am Carlos Place. Abgestiegen ist er im Grandhotel Waldhaus in Vulpera vom 9. bis zum 18. September 1947 im Zimmer 191. Neben diesen Fakten ist auf der Karteikarten noch vermerkt, dass Dr. Soloveytchik 25% Reduktion bekommt und „Schmarotzer ersten Ranges. Hat nie eine Zeile über Vulpera geschrieben.“ Und darunter „Kein Ostergruss.“

Lois Hechenblaikner hat einen wahren Schatz geborgen, als er beharrlich blieb, und den letzten Direktor des Grandhotel Waldhaues in Vulpera, Rolf Zollinger, davon überzeugte, die rund 20.000 Karteikarten, die vom Personal von ca. 1924 bis in die 1960er-Jahre in dem Schweizer Luxushotel über die Gäste angelegt worden sind, gemeinsam in einem Buch zu veröffentlichen.

Es ergibt sich daraus ein überaus spannender Zugang — sowohl zum historischen Kontext, zur politischen Stimmung, aber auch zum Thema Tourismus. Ergänzt werden die abgebildeten Karteikarten, die aus jedem Leser sowohl Historiker, als auch Detektiv werden lassen, von biografischen Daten, soweit diese zu ermitteln waren. So erfahren wir etwa, dass George Solovectchik 1902 in St. Petersburg geboren worden ist, in Cambridge, Oxford, Paris und Berlin studiert hat und später als Auslandsredakteur der Financial Times arbeitete. Von 1941 bis 1945 war er Sonderberater der belgischen Exilregierung in London.
Und der Journalist war nicht der Einzige, dem man keine „Ostergrüsse“ mehr ausrichten sollte. „,Hochstapler‘ unansehlicher Kerl meckert wegen à la Carte-Preisen“ liest man da, oder „Kein Ostergruss ,Zechpreller’“. Gäste, die das Personal wohl künftig nicht mehr bedienen wollte. So wurde dieses „Keine Ostergrüsse!“ internes Zeichen für die Blacklist ungeliebter Gäste.

Die Notiz „fesche Frau“ bedeute das Gegenteil. Frau Wera Kübens wählte wohl die falsche Reisezeit, „findet scheinbar keinen Anschluss, dachte es wäre noch Hochsaison mit mehr Chancen“ und Mrs. Dora Selvers bekommt den Eintrag: „nice, would like to have twelve gigolos at the Waldhaus“. Ob ihr die Gigolos geboten wurden — darüber findet sich kein Eintrag.

„Richtiger Jude“ und „Hitleranhänger“ als Gäste

Jüdische Hotelgäste wurden auf den Karten ebenfalls gekennzeichnet und das bereits in den 1920ern. Las ein Mitarbeiter „Tiroler“, wusste er, es handelt sich um einen Juden. Doch dabei blieb es nicht, und im Laufe der 1930er-Jahre wurde auch auf den Karten der Ton rauer und blanker Antisemitismus wurde sichtbar. „Richtiger Jude schon äusserlich“ war aber bereits 1925 auf einer Karteikarte zu lesen, später „sehr unangenehmer Gast. Unausstehlicher Jude“. Auch „eifrige Vertreter des Deutschen Reiches“ sind im Grandhotel zu Gast, „Durch & durch Hitleranhänger“ wird Eberhard Burgard schon bei seinem Aufenthalt 1933 bescheinigt.

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Josef Terboven war im August 1939 Gast in Vulpera, er hatte 1

934 eine ehemalige Sekretärin Goebbels geheiratet, bei der Hochzeit waren Goebbels und Hitler dabei. Terboven wurde Gauleiter von Essen und Reichskommissar für die besetzten Gebiete Norwegens, die er wirtschaftlich ausbeutete und den Widerstand niederschlug. Am Tag der deutschen Kapitulation beging er Selbstmord. Im Grandhotel Waldhaus war man sich seiner Bedeutung bewusst. „Ganz grosse Pers. des III Reichs Hitler nahestehend“ wurde auf seiner Karteikarte notiert.

 

Vergangenes Jahr ließ der Fotograf und Künstler Lois Hechenblaikner aufhorchen, als er der Tourismus-Hochburg Ischgl einen Fotoband widmete und stark illuminierte Gäste außer Rand und Band ablichtete. Einen ganz anderen Blickwinkel nimmt er in „Keine Ostergrüsse mehr! Die geheime Gästekartei des Grandhotel Waldhaus in Vulpera“ ein. Anhand von vielen Karteikarten, die das Personal einst von seinen Gästen anlegte, entsteht in dem Buch nicht nur ein anschauliches Gemälde des einstigen Hotels, sondern auch Sittenbilder der Zeit. mmo
Lois Hechenblaikner, Andrea Kühbacher, Rolf Zollinger: Keine Ostergrüsse mehr! Edition Patrick Frey, 397 Seiten, € 52

Das könnte Sie auch interessieren