Die Gewalt nach dem Krieg

Wortflut: Wolf Reitlings Roman „Das Flattern der Fledermaus“

Wolf Reitling: Das Flattern Der Fledermaus. Verlag am Rande, 331 Seiten, €24,20
Wolf Reitling: Das Flattern Der Fledermaus. Verlag am Rande, 331 Seiten, €24,20 ©

Auf Baustellen, irgendwo im Niemandsland, verdient der Erzähler kümmerlichen Lohn, die „Kohle“. „Es ist dir nicht möglich, an einen Vorschuss zu kommen. Dein Groll kocht ungebremst hoch. Existenzängste durchziehen dich.

Du warst eine Spur zu naiv. Deine Ermordung soll ungebrochen weitergehen. Dein verschlissener Organismus muss sich kaputt malochen. Die Schieflage, die dich so niedermacht, ist zu allem befugt.“

Aneinandergereihte Hauptsätze, die Erinnerungen wie ein Bergwerk, aus dem Klumpen für Klumpen ans Tageslicht gezerrt wird oder in unruhigen Träumen poltert. Expressive und eruptive Sprache. Hohe Schlagzahl, Hauptwörter unter Dauerbeschuss von Adjektiven. Ein kleines Wunder, wie da auch noch Zeit zur Reflexion bleibt.

Wolf Reitling, 1939 in Innsbruck geboren, wuchs in Oberösterreich auf, lebt heute an der Grenze zu Bayern. Erzähltes Leben, rau und ungeglättet. Reitling erzählt vom Dreck, vom Schweiß, von der Angst, der „Lebenswut“.

Von der Geilheit, die gerade den Erschöpften am heftigsten bedrängt. Leben im stetig Ungewissen zwischen äußerem Zwang und anarchistischer Existenz. Wildes Assoziieren und Wortflut, selten schummelt sich bloß Angelesenes in angestrebt originäre Sprache (das üble Modewort „generieren“!).

Wie ein Prosagedicht mit 300 Seiten

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Reitlings Roman „Das Flattern der Fledermaus“, der sich wie ein gut 300-seitiges Prosagedicht anfühlt, ist konsequente Fortführung und nochmalige Verdichtung des Romandebüts „Tage, von Nächten gehalten“.

Vom Bauarbeiter zum Versuch, sich eine bäuerliche Existenz aufzubauen, in der nachgereichten biografischen Skizze schreibt Reitling: „Der unablässige Prozess der Kuhfütterung und des Ausmistens spannt dich ein. Im Winter ist schwere und gefährliche Holzarbeit zu verrichten.“

Der Erzähler spricht von sich als „Du“, verstärkt damit den Eindruck von Unmittelbarkeit. Die Hungerjahre nach dem Krieg haben sich in die Erinnerung gebrannt, ein „Ziehvater“ kommt vor, versoffen und gewalttätig. Vom Krieg ist Gewalt im Denken und Handeln der Menschen — der Männer! — geblieben.

Geld ist immer knapp, zwingt in elende kurzfristige Jobs („In absoluter Sinnentleerung bist du nur noch ein gefühllos steuernder Reflex“). Freuden? Frauen. „Im Zuge des Imaginierens stellt sich die weibliche Erscheinung als der Fleischeslust Sehnsuchtstankstelle dar.“ Oder kurzer Glückspielsegen, der den Erzähler von Samba in Rio träumen lässt.

Schärding, Ried, Passau oder Linz bilden die Grenzen dieser Welt, am Ende hebt der Erzähler im Jumbo nach Südafrika, nach Johannesburg ab.

Immer noch Ungewissheit, aber endlich Luft. Nach dieser schnappt womöglich auch der Leser, wenn er ans Ende von „Das Flattern der Fledermaus“ gelangt. Der Roman ein atemloser Bericht über die andere, die dreckige Seite des ökonomischen Wiederaufbaus in Österreich.

Von Christian Pichler

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