Die Kunst muss gar nichts

Premiere von Thomas Melles „Ode“ in den Linzer Kammerspielen

Lorena Emmi Mayer
Lorena Emmi Mayer © Petra Moser

Ja ist denn das noch Kunst? An der Kunstakademie, ein schlaffes Zelt bläht sich auf, darunter die „Skulptur“. Ein Nichts, Luft. Besucher nehmen die kunstsinnige Pose ein, lustig anzusehen. Männer nachdenklich das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger gestützt, Frauen die Hand ans Dekolleté gepresst.

Auftritt der Professorin, die Künstlerin (wie stets stark präsent: Gunda Schanderer). „Ode an die alten Täter“ heißt ihr Werk. Dumme Provokation? Oder ein Versuch, sogenannte Ambivalenzen, Widersprüche in glatt genießbare Kunst zurückzuholen? Ein vertrackt aufklärerisches Statement, die Professorin hadert ja selbst damit.

Ein Konzept, das aufgeht und Spaß macht

Und das ist erst der Anfang. Der in Berlin lebende Autor Thomas Melle ballert einem im Stück „Ode“ gegenwärtigen Kunstdiskurs und den vergangener Jahrzehnte um die Ohren. Nach gut 100 Minuten könnte einem schon auch schwindlig werden. Dass dieses schwer theorielastige Konzept aufgeht und sogar mächtig Spaß macht, ist auch der flotten Regie von Peter Wittenberg zu verdanken. „Lasst die Sau raus!“, schien er das Ensemble animiert zu haben, und es geschah so. Österreichische Erstaufführung von „Ode“ war am Freitag in den Linzer Kammerspielen.

Stetes Pendeln zwischen Persiflage des Kulturbetriebs und dem ernsthaften Anspruch der Relevanz von Kunst. Sie ist offen, verspielt, irrational oder streng, mörderisch konsequent oder luftiges Fragment. Und so weiter. Maulkörbe kommen auch von sich aufgeklärt wähnender Seite. Nur ja niemanden beleidigen. Ja kein Rassist sein. Spießer! Man befetzt sich gegenseitig, während sich draußen schon eine „Wehr“ formiert hat, die heimattreue Kunst und ähnlichen Schabernack fordert.

Sebastian Hufschmidt steht als die „Wehr“ unverkennbar für die Identitären und für Bürgerwehren. Raffiniert von Melle, dass er dem Bewahrer westlicher Werte Worte in den Mund legt, die rhetorisch gewandt, vernünftig und kritisch klingen. Die aber nur den Rückwärtsgang wollen. Julian Sigl — fantastischer, schweißtreibender, auch pudelnackterter Auftritt — hält als Regisseur Orlando dagegen. Tod des Theaters, und jetzt spielen wir erst recht! Was geschah vor fünf Jahren mit der unglücklichen Professorin? Theater im Theater, richtig schlechtes Theater, und das mit Absicht, ätsch!

Gewalt auf der Bühne, sogenannter Realismus. Kann Theater überhaupt noch abbilden? Wo bleibt die gute alte Schönheit? Die Kunst! Das Leben! Klaus Müller-Becks finale Predigt absichtsvoll pathosgetränkt. Freiheit! Ein beschleunigtes Tohuwabohu, spielt das Stück im richtigen Leben oder im Theater? Der Beifall währte minutenlang. Kein „normales“ Theater, auch deshalb herzhafte Empfehlung.

Von Christian Pichler

Das könnte Sie auch interessieren