Die Macht dummer Buben

Uraufführung von Ebner-Eschenbachs „Die Totenwacht“ im Landestheater

V. l.: Alma Hofmann, Isabella Campestrini und Jeanne Werner
V. l.: Alma Hofmann, Isabella Campestrini und Jeanne Werner © Herwig Prammer

Das Halbrund abgetrennt mit schwarzem Vorhang, der Schatten einer Frau am Sarg. Ein Mann will mit ihr sprechen, das „Geh!“ nimmt er nicht hin.

Den Vorhang zur Seite geschoben, er drängt ein zweites Mal in den Intimraum der Frau.

Ein beglückendes Theaterwagnis

Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916) ist heute vor allem durch die Erzählung (und den Film) „Krambambuli“ bekannt. Die Dichterin keine Revoluzzerin, sondern — umso eindringlicher — eine Menschenbeobachterin mit präzisem Gespür für soziale Bruchlinien. Mann und Frau, arm und reich, Spuren der Gewalt an Leib und Seele. Ein Höhepunkt realistischer Erzählkunst „Die Totenwacht“ von 1894, darin seziert patriarchale Macht und Verwüstungen durch Väter und Söhne. Uraufführung der dramatischen Fassung von Franz Huber war am Sonntag im Landestheater Linz, die Studiobühne der Ort für ein beglückendes Theaterwagnis.

Soll man sich diese naturgemäß düstere „Totenwacht“ antun? Aber ja. Sara Ostertag inszeniert das Stück kurzweilig wie einen längeren Popsong, Traumschwaden gleich ziehen Kindheit und Jugend vorüber. Die Frau will die tote Mutter betrauern, der Mann die Vergangenheit glätten. Die Bühne (Nanna Neudeck) zwischen Spielwiese und Ort des Todes, kindliches Raufen führt in den traumatischen Kern. Just, als sie zärtliche Gefühle für ihn fasste, übte er Macht aus durch Körperkraft und soziale Stellung als wohlbestallter Sohn. Brutales Ende der Kindheit, die Vergewaltigung begleitet von „Es wird scho glei dumpa“.

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Drei Schauspielerinnen verleihen der Frau Gestalt, eine erst neun Jahre alt. Erzählung und Darstellung harmonieren fließend, Isabella Campestrini und Jeanne Werner agieren mit intensiver Körperlichkeit und bisweilen ironischer Distanz zum Mann. Armut, Staub und Hunger, Blut auf den Gesichtern, Daniel Klausner packt mehrfach grob zu und kassiert dafür ordentlich. Ein Stellvertreter wohl auch jener Gewalt, welche Herren jahrhundertelang über Dienstmädchen und Mägde ausübten. Keinen Augenblick das Gefühl, dass Ebner-Eschenbach hier feministisch zurechtgebogen wird. Sie hat es schon so gemeint. Die Indie-Musikern Clara Luzia spielt live und fügt sich mit ihren Interventionen geschmeidig ein. Alma Hofmann ein beeindruckendes Mädchen, das den Mann wunderschön auflaufen lässt. Er wütet und er bettelt, dafür von Hofmann ein kaltschnäuziges „Dummer Bub!“ Er bietet die Heirat an, das Nein der Frau endgültig: „Lieber in die Hölle als in dein schönes Haus.“

Eine einstündige Ballung dessen, was Theater kann. Es packt Herz und Hirn, klärt auf, zaubert starke und dichte Bilder ins Bewusstsein. Der Beifall heftig.

Bis 21. März 2020

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