„Die meisten Falschnachrichten kann man in zehn Minuten widerlegen“

Fake News erleben in Zeiten der Coronakrise eine Hochphase. Auf der Suche nach Informationen laufen viele Menschen Gefahr, auf Desinformationen hereinzufallen oder sich in Verschwörungstheorien zu verlieren.

Auch Medien müssen sich immer besser rüsten. Bei der APA – Austria Presse Agentur prüft Verification-Officer Florian Schmidt, was hinter aktuell kursierenden Falschnachrichten wirklich steckt.

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APA: In den vergangenen Wochen war zu beobachten, dass Fake News bzw. Verschwörungstheorien mittlerweile nicht nur für Desinformation sorgen, sondern auch im realen Leben zu Demonstrationen, Sachbeschädigungen und Angriffen geführt haben. Zugleich war das Thema Fake News selten so präsent wie gerade jetzt. Werden die Menschen von Faktenchecks nicht erreicht?

Florian Schmidt: Faktenchecks werden durchaus von vielen Menschen gelesen. Hier ist aber die Schnittmenge mit Menschen, die so stark in Desinformations-Blasen stecken, dass sie auch im echten Leben zu Aktionen verleitet werden, leider gering. In diesen Kreisen werden Faktenchecks eher belächelt und abgewertet, weil grundsätzlich das Vertrauen in öffentliche Institutionen, wissenschaftliche Studien, Experten und journalistische Arbeit fehlt.

Dort wird dann gerne darüber hinweg gesehen, dass sich hinter diesen Quellen Millionen von Menschen befinden, die täglich versuchen, sauber und nach qualitativen Kriterien zu arbeiten.

Wie hat sich die Rolle der Medien in der Coronakrise verändert?

Medien werden immer mehr zu Verifizierern. Das waren sie zwar immer schon, denn kein Medium will falsche Informationen weitergeben, wenn es ernst genommen werden will. Aber die Anforderungen steigen und Medien müssen sich immer mehr mit Recherchemethoden und Verifikations-Tools auseinandersetzen. Sie müssen in Ressourcen investieren.

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Gerade in einer Krisensituation entsteht viel Unruhe in der Bevölkerung. Im derzeitigen Fall entstehen einfach große individuelle Wissenslücken, weil viele Informationen im Bezug auf das neuartige Coronavirus nicht vorhanden oder zu wissenschaftlich sind. Das eröffnet Falschnachrichten große Möglichkeiten, weil sie diese Wissenslücken mit einfachen Scheinantworten besetzen können.

Wenn ich glaube, dass das alles nur eine Lüge oder harmlos ist, muss ich mich nicht in die Komplexität des Themas einarbeiten. Wenn ich daran glaube, dass das Virus von einem politischen Akteur oder dem Militär erzeugt wurde, muss ich mich nicht mit Forschungen zur Entstehung und Verbreitung von Viren beschäftigen.

Wie wichtig ist die vermehrte Kooperation zwischen traditionellen Medien und Sozialen Netzwerken wie Facebook zur Bekämpfung von Fake News?

Das ist deshalb wichtig, weil Fake News in Sozialen Netzwerken stark geteilt werden. Dort können Falschnachrichten zu einer riesigen Reichweite kommen, die sie auf weniger populären Plattformen oder in Foren nie erreicht hätten.

Insofern finde ich es gut, dass diese Sozialen Netzwerke verstärkt Möglichkeiten schaffen, um diese Falschnachrichten auch zu bekämpfen, und dabei mit traditionellen Medien zusammenarbeiten. Diese können hier nämlich ihre ganze Expertise und ihre Recherchearbeit einfließen lassen.

Wie laufen Faktenchecks eigentlich genau ab?

Schmidt: Die Produktion eines Faktenchecks beginnt bereits bei der Auswahl. Was kann ich überhaupt checken? Meinung kann ich nicht überprüfen, weil zum Glück jeder sagen kann, was er will. Ich kann auch keine Satire widerlegen. Und dann muss ich schauen, ob ich aus einer Aussage überhaupt greifbare Behauptungen extrahieren kann, die sich mit Fakten widerlegen lassen.

Die meisten großen Verschwörungstheorien bauen auf Behauptungen auf, die sich von niemandem überprüfen lassen können. Das ist ein Erfolgsrezept, weil die Theorie niemand widerlegen kann. Selbst wenn es 99 Leute ablehnen, hält der Hundertste die präsentierte Logikkette vielleicht für ein logisches Erklärungsmodell.

Die Produktion selbst basiert dann auf gründlicher Recherchearbeit, transparenter Dokumentation von Rechercheschritten und Quellen, Herausarbeiten von Fakten, Gegenüberstellen von unterschiedlichen Standpunkten.

Das alles muss sehr sauber sein, denn Fehler machen angreifbar oder führen zu einem Vertrauensverlust. Und für den Leser muss alles nachvollziehbar sein. Die Bewertung der zu überprüfenden Information erfolgt dann alleine aufgrund der gefundenen Fakten und Statistiken und ist unabhängig vom Weltbild des Erstellers.

Und wie werden sie dann in Social Media implementiert?

Schmidt: Hier bietet etwa Facebook neuerdings eine gute Lösung. Facebook-Postings, die als Falschnachrichten eingestuft wurden, werden mit einer grauen Maske überlegt. Dabei werden User gewarnt, dass die Information als Falschinformation eingestuft wurde und sie müssen aktiv zustimmen, dass sie das Posting dennoch sehen wollen.

Sie können ebenfalls mit einem Klick sehen, wer die Behauptung überprüft hat und werden zum Faktencheck selbst geführt. Laut Facebook hat dies dazu geführt, dass sich 95 Prozent aller Nutzer ein derart ausgewiesenes Posting nicht mehr anzeigen haben lassen. Außerdem schränkt Facebook die Reichweite sowohl derartiger Posts als auch von Seiten, die das verbreiten, ein.

Wie könnte man Faktenchecks auch auf anderen Kanälen, etwa in den viel zitierten WhatsApp-Gruppen, implementieren?

Schmidt: Das ist ein schwierigeres Thema, da Gruppen in Messengerdiensten wie WhatsApp oder Telegram prinzipiell nicht öffentlich sind. Da fehlt der Einblick und auch die Kontrolle durch den Anbieter. Bisherige Maßnahmen wie die Einschränkung der Weiterleitung von Nachrichten sind bestimmt sinnvoll, aber ich habe schon den Eindruck, dass diese Kanäle eine immer beliebtere Alternative werden. Da müssen sich die Anbieter überlegen, ob es technisch möglich wäre, geteilte Links automatisch zu erfassen und mit Faktenchecks zu verbinden.

Wie wichtig ist Regionalität bei Faktenchecks? Wie regional sind Fake News?

Ich denke schon, dass es auch sehr viel regionale Fake News gibt. Allerdings stolpere ich da weniger drüber, da für uns vor allem die viralen Fake News mit großer Reichweite wichtig sind, die auch das Potenzial haben, den Meinungsbildungsprozess eines großen Teils der Bevölkerung zu beeinflussen.

Welche Tricks können Leser anwenden, um Fake News zu identifizieren?

Ich denke, dass man die meisten Falschnachrichten innerhalb von zehn Minuten selbst widerlegen kann. Wenn man sich mit Online-Recherche und Suchoperatoren auskennt, sogar innerhalb weniger Minuten.

Es wäre sinnvoll, diesen zeitlichen Aufwand zu investieren, wenn man sich bei der Einschätzung einer Information nicht ganz sicher ist. Dadurch, dass online so viele Informationen auf einen einprasseln, summiert sich das aber schnell und deshalb wollen die meisten verständlicherweise nicht so viel Zeit investieren.

Außerdem gibt es noch die schweren Brocken, wo man stundenlang recherchieren muss und dabei vielleicht gar nicht zu einem Ergebnis kommt. Das kann sehr frustrierend sein.

Ich rate immer zu drei Fragen, die man immer für sich stellen sollte. Wem würde die Verbreitung der Information nützen? Dabei muss es gar nicht um irgendeine schwer zu durchschauende politische Komponente gehen, oft spielen kleine psychologische Faktoren wie das Streben nach Aufmerksamkeit oder Anerkennung eine Rolle. Gibt es greifbare Fakten, die ich überprüfen kann?

Das können erwähnte Zahlen, Zitate oder Ereignisse sein, die ich mit Statistiken, Studien oder Nachrichtenmeldungen abgleichen kann. Das können bei Bildern auch Straßenschilder, Nummernschilder, Werbeplakate oder Uhren sein, um den angegebenen Ort und die angegebene Zeit zu überprüfen.

Die dritte Frage ist allerdings die schwierigste. Will ich gerade etwas nur deswegen für wahr halten, weil es besser in mein Weltbild passt? Denn meistens halten wir Informationen eher dann für wahr, wenn sie sich bequem in unsere Überzeugungen integrieren lassen und wir uns dadurch nicht selbst hinterfragen müssen. Diese Frage erfordert sehr viel Selbstreflektion.

Die Fragen stellte Sonja Harter/APA

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