„Die politische Landschaft wurde grundlegend umgepflügt“

LH Thomas Stelzer über die Anliegen der Bundesländer, den Klimaschutz, die Lehren aus den Wahlen und die Arbeit im Land OÖ

Landeshauptmann Thomas Stelzer im VOLKSBLATT-Interview. © Land OÖ/Kraml

VOLKSBLATT: Sie haben mit Jahresbeginn den Vorsitz der Landeshauptleutekonferenz übernommen. Ist das eine Funktion mit politischem Gestaltungsspielraum?

LH STELZER: Wir Landeshauptleute übernehmen Verantwortung für unsere Regionen und wir sind es gewohnt, dass wir uns gut absprechen, dass wir unsere Interessen bündeln und auch gegenüber dem Bund vertreten — durchaus partnerschaftlich, aber auch mit sehr viel Selbstbewusstsein, weil wir in den Regionen mit Hausverstand und Nähe sehr vieles sehr gut regeln können. Im Zusammenspiel mit den Gemeinden, aber auch der Bundesebene, treten wir als Problemlöser und Impulsgeber auf.

Was steht da gegenüber dem Bund derzeit auf der Agenda ganz oben?

Natürlich beschäftigt uns gemeinsam, wie wir bei Rahmenbedingungen, die nicht mehr ganz so einfach sind, den Standort Österreich und damit auch unsere jeweiligen Regionalstandorte wirtschaftlich gut weiterentwickeln können. Das zweite große Thema ist, wie wir die Pflege organisieren und finanzieren. Und wie immer geht es drittens auch um die Kompetenzaufgliederung zwischen Bund und Ländern.

Was muss geschehen, damit die Menschen im Alter jene Pflege bekommen, die sie brauchen?

Hier haben wir eine ganze Palette an Schritten zu setzen. Erstens braucht es die Wertschätzung und den Dank dafür, dass sehr viel Pflege im Familienverband geleistet wird. Das dürfen wir aber nicht überstrapazieren, daher müssen wir hier Entlastungsschritte setzen – wie den Pflege-daheim-Bonus oder Möglichkeiten der Kurzzeitpflege. Zweitens braucht es diese öffentliche Wertschätzung auch für die Menschen in den Pflegeberufen, weil man dafür neben Kompetenz auch sehr viel Persönlichkeit und Empathie braucht. Und wir brauchen eine intensivere Bewerbung für dieses Berufsfeld, damit mehr Menschen in die Pflege gehen. Drittens müssen wir bei der Herausforderung Finanzierung gemeinsam mit dem Bund schauen, wie wir das auch nach Auslaufen dieser Finanzausgleichsperiode weiter finanzieren können.

Nächste Woche halten Sie eine Rede im Bundesrat. Bilden die angesprochenen Themen auch den Tenor Ihrer Ausführungen?

Klar sind das die großen Themen. Ich werde aber auch thematisieren, dass wir Österreicherinnen und Österreicher durchaus selbstbewusst sein können. Wir haben es in den 75 Jahren, in denen wir Frieden haben, weit gebracht. Wir sind ein international erfolgreicher Standort und haben jetzt die Chance, uns weiter zu festigen, wenn es die Bereitschaft gibt, diesen Weg weiter zu gehen. Diesen positiven Geist, diese Zuversicht möchte ich auch ansprechen.

Die türkis-grüne Regierung hat die ersten Wochen absolviert. Reicht die Zeit für eine erste Beurteilung?

Positiv unterstreichen möchte ich den gelungenen Start als Team und das Bemühen, diesen Teamgeist auch zu leben. Das braucht eine Regierung ganz dringend. Sehr positiv werte ich, wie schon gesagt, dass man im Regierungsprogramm Standort, wirtschaftliche Interessen und Klimaschutz gebündelt sieht. Das stimmt mich zuversichtlich, dass sich die ersten Erfolge sehr rasch einstellen.

Sollte für Klimaschutzmaßnahmen der Null-Schulden-Kurs gelockert werden?

Festzuhalten ist, dass man sich im Industriebundesland OÖ ansehen kann, wie Umwelt- und Klimaschutz geht. Das sollte man durchaus mit Selbstbewusstsein sagen. Wir starten nicht bei Null, sondern wir können das. Wäre nicht ständig in Umwelt- und Klimaschutz investiert worden, könnte OÖ unter heutigen Bedingungen überhaupt kein Industriestandort mehr sein. Trotzdem haben wir ein Budget ohne Schulden – man kann also intelligent beides machen: sparen und investieren. Beispielsweise mit dem größten Ausbaupaket der Geschichte für unseren Schienenverkehr mit über 600 Mio. Euro, die zusätzlichen Investitionen in den Ausbau von Wasserkraft der Energie AG oder die 400 Mio. Euro für Klimaschutz, die im Landeshaushalt vorgesehen sind.

Als wirtschaftlich starkes Land ist OÖ auch ein Pendlerland. Müssen die Pendler Angst haben, dass die Fahrt zum Arbeitsplatz zum Luxus wird?

Wir ÖVP-Ländervertreter, aber auch die ÖVP in der Bundesregierung, haben dafür Sorge zu tragen, die Realitäten anzuerkennen. Wir wollen mehr öffentlichen Verkehr, und es macht auch Sinn, in den ÖV zu investieren, aber ein Flächenland wie OÖ, wo in allen Regionen unseres Bundeslandes wichtige Betriebe und damit Arbeitsplätze zu finden sind, wird nie zur Gänze öffentlichen Verkehr anbieten können. Wir stehen dazu, dass den Pendlern der Weg zur Arbeit unter finanziell zumutbaren Bedingungen ermöglicht werden muss.

Wenn Sie sich die Ergebnisse der letzten Wahlen ansehen: Gelten die politischen Kategorien Links, Rechts oder Mitte noch?

Die große Erkenntnis des Jahres 2019 ist, dass sich die politische Landschaft Österreichs total geändert hat, sie wurde von den Wählerinnen und Wählern grundlegend umgepflügt. Es gibt mit der Volkspartei nur mehr eine ganz große Partei in Österreich und den Bundesländern, und einige kleinere Parteien in jeweils einem Spektrum. Das ist für die ÖVP erfreulich, aber auch eine große Verantwortung. Deren Zuschnitt als bürgerliche, christlich-soziale Partei und auch als Partei, die nachhaltig agiert, ist offensichtlich etwas, was ein Großteil der Wählerinnen und Wähler schätzt.

Was konkret schätzen die Wähler an dieser Partei in der Mitte?

Das allerwichtigste ist, dass wir den Menschen nicht erklären, was sie zu denken haben, sondern dass wir sie ernst nehmen. Wenn der Weg zur Arbeit finanziell zumutbar sein muss ist das ein Thema, das wir zu lösen haben. Wenn nach wie vor Migrantinnen und Migranten in größerem Ausmaß nach Europa kommen, dann bleibt das eine Herausforderung, die man nicht einfach am grünen Tisch hochnäsig wegwischen darf. Wenn der Klimaschutz uns alle fordert, dann müssen wir in Europa bereit sein, vorauszugehen und nicht zu sagen, wir warten, bis andere nachkommen. Diese Beispiele zeigen, dass wir die Dinge sehr konkret anpacken, dass wir uns nicht drüberturnen. In unserem grundsätzlichen christlich-sozialen Zuschnitt setzen wir auf die Freiheit und die Eigenverantwortung, aber eben auch auf die Solidarität dort, wo sie gefordert ist.

Stichwort Migranten und nicht drüberturnen: Das Kopftuchverbot und die Deutschpflicht werden nach wie vor intensiv diskutiert. Was hat die Politik in diesen Fragen zu tun?

Ich unterstütze den Kurs der Bundesregierung zu sagen, wir müssen in unserer Gesellschaft jungen Mädchen die Möglichkeit der freien Entfaltung geben. Der Weg des Kopftuchverbots ist daher aus meiner Sicht der richtige. Zweitens bedeutet Integration mitleben-wollen, und dazu gehört die Sprache. Jede Möglichkeit, unsere Sprache zu lernen, ist gut und richtig. Daher haben wir in das Sozialhilfegesetz die Bemühungspflicht zum Erlernen der Sprache hineingenommen, das ist das Um und Auf von Integration.

Ausgehend vom Krankenhaus Nord in Wien gibt es wieder einmal eine Debatte um Kruzifixe. Sind wir auf dem Weg dahin, dass das Kruzifix im öffentlichen Raum als Belästigung empfunden wird?

Für mich ist vollkommen klar, dass im Abendland das Kreuz eine Bedeutung hat, die über das unmittelbar Religiöse hinausgeht. Es hat mit unserer Entwicklung zu tun und damit, wie von unserer Gesellschaft Dinge gesehen werden und wie wir unsere Gesellschaft verstehen. Das Kreuz ist dort, wo wir es haben, gut und richtig. Ich glaube auch, dass es von den allermeisten in unserer Gesellschaft richtig verstanden wird.

Sie haben mit dem Grünen Landessprecher Stefan Kaineder ein neues Regierungsmitglied, das sich im Hinblick auf die Landtagswahl 2021 profilieren will und muss. Ist damit innerhalb der Landesregierung der Wahlkampf schon eröffnet?

Zu seiner Wahl gratuliere ich Stefan Kaineder. Wir haben in OÖ das Modell der Gemeinschaftsregierung, jede Partei hat ab einer gewissen Stärke Regierungsverantwortung. Ich habe daher den neuen Kollegen gebeten, dass wir uns den Zugang, die Dinge in der Regierung gemeinsam zu regeln, erhalten. Ich darf darauf hinweisen, dass im letzten Jahr trotz der Vierfärbigkeit unserer Landesregierung mehr als 97 Prozent der Beschlüsse einstimmig waren.

Auf Bundesebene fährt die FPÖ einen prononciert kantigen Oppositionskurs. Wie geht es Ihnen mit dem Regierungspartner FPÖ in OÖ?

Wir haben für diese Periode ein sehr gut ausgearbeitetes Arbeitsprogramm, das setzen wir Schritt für Schritt um. Das werden wir bis 2021 auch so beibehalten. Dass eine Partei auf Landes- und Bundesebene eine andere Rolle zu spielen hat, haben wir immer wieder gehabt. Das sehe ganz unaufgeregt und ich gehe davon aus, dass wir bis zum Ende der Periode gut und sachlich zusammenarbeiten.

Als Landeshauptmann besuchen Sie derzeit viele Bälle. Werden Sie als Vorsitzender der LH-Konferenz auch den Opernball besuchen?

Nein, der fällt in unsere Schulferien, und die gehören der Familie und den Kindern.

Mit Landeshauptmann THOMAS STELZER sprach Markus Ebert

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