Von Christian Pichler
„Du musst dir klarmachen, dass du hier bist, um zu dienen, Luke. Das bedeutet, dass du schnell erwachsen werden musst. Es bedeutet, realistisch zu sein. Mit dir werden bestimmte Dinge geschehen. Manche werden nicht besonders schön sein.“
Stephen King ist ein Meister darin, die Atmosphäre zu verschriftlichen, in der sich Kinder am heiklen Übergang zum Erwachsensein befinden. Jene schwer zu bestimmende Grenze, die unschuldiges von verantwortlichem Leben trennt, nicht nur im Horrorgenre verbunden mit ersten erotischen Empfindungen. Kings verblüffende Einfühlung in Kinderseelen: Wie erstaunlich robust und klug sie sein können, wie verletzlich sie auch sind.
In „Das Institut“, dem jüngsten Roman des Vielschreibers (Übersetzung von Bernhard Kleinschmid), ist das Böse systematische, erwachsene Boshaftigkeit. Wie selbstverständlich entführt King in eine Welt zwischen Verschwörungstheorie und realer US-Historie. Nach einer Hochblüte im Kalten Krieg, als Geheimdienste mit außersinnlicher Wahrnehmung zu Spionagezwecken experimentierten, ist die sogenannte Parapsychologie bis heute wissenschaftlich umstritten, die Indizienlage dünn. Doch der Romancier King hat den Leser im Nu eingesponnen.
Pizzableche rücken von der Stelle, Lichter flackern, Kinder kommunizieren gedanklich durch dicke Wände und über große Entfernungen.
Ende schwächelt
Ein Killerkommando hat die Eltern des zwölfjährigen Luke Ellis ermordet und ihn an einen abgelegenen Ort in Maine verschleppt. Luke kann Dinge mit Gedankenkraft bewegen, im „Institut“ trifft er auf andere außergewöhnliche Kinder. Im sogenannten Vorderbau führt das Personal „Tests“ an den Kindern durch, von Wasserfolter bis zur gefürchteten „Spritze für die Blitze“, die bestimmte Hirnregionen stimuliert. Der „Hinterbau“ ein dunkles Geheimnis, die Fähigkeiten der Kinder bis aufs Äußerste ausgereizt.
Ein europäischer Autor würde kaum derart unbekümmert historische Bezüge herstellen, Krematorien im Hinterbau erinnern an düsterste Vergangenheit. Wie so oft schwächelt King auch am Ende dieses Romans, beschwört holprig das Wirken einer innerstaatlichen Macht hinter der politisch legitimierten. Seitenhiebe auf den aktuellen US-Präsidenten inklusive, den „größenwahnsinnigen Armleuchter aus New York“. Davor aber 700 Seiten lang virtuos Hochspannung aufgebaut, alleine die Flucht Lukes aus dem Institut treibt die Herzfrequenz des Lesers in die Höhe. Ein Showdown, der in seiner Drastik an beste „Carrie“-Zeiten gemahnt, sympathisch die Botschaft von Akzeptanz und Freundschaft. Kinder, reicht einander die Hände!