Distanzierung von Antisemitismus stürzt Islam-Verband in Turbulenzen

Milli-Görüs-Generalsekretär nach Aussagen in Wien intern unter Beschuss

Milli-Görüs-General Altas unter Druck: Seine Distanzierung von Hamas und Antisemitismus wird in Milli-Görüs-Medien verschwiegen.
Milli-Görüs-General Altas unter Druck: Seine Distanzierung von Hamas und Antisemitismus wird in Milli-Görüs-Medien verschwiegen. © IGMG

Es war ein bemerkenswertes Ereignis: Ende Februar lud die Islamische Föderation (IF), Österreich-Ableger der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), im Wiener Hilton-Hotel zu einer Podiumsdiskussion.

Neu daran: Erstmals stellten sich führende Funktionäre Kritikern, welche der in der türkischen Diaspora einflussreichen Organisation den Antisemitismus ihres vor elf Jahren verstorbenen Gründers Necmettin Erbakan sowie Sympathien für die palästinensische Terrororganisation Hamas vorhalten.

Erbakan faselte in Reden und Büchern von einer „seit 5700 Jahren währenden jüdischen Weltherrschaft“ oder vom „Ziel Israels, die Weltherrschaft des Zionismus zu errichten“, dem er sein Ziel einer islamischen Ordnung entgegensetzte. Trotzdem ist der türkische Ex-Premier für die IGMG ein „großer islamischer Vordenker“.

Necmettin Erbakan: Seine Erben tun sich schwer mit der Distanzierung vom Antisemitismus und Islamismus des Milli-Görüs-Gründers.
Necmettin Erbakan: Seine Erben tun sich schwer mit der Distanzierung vom Antisemitismus und Islamismus des Milli-Görüs-Gründers. ©AFP/Zarourar

Positiv überraschten daher Aussagen von IGMG-Generalsekretär Bekir Altas in Wien: Er würdigte „das Gute von Erbakan“, distanzierte sich aber von dessen Antisemitismus. Auf die Frage aus dem Publikum, wie die IGMG zur Hamas stehe, nannte er diese „terroristisch“.

Good News unterschlagen

„Der Unmut im Saal war mit Händen zu greifen“, so ein Teilnehmer. Nicht alle in der IGMG dürften mit der Positionierung ihres Generals einverstanden sein. Erstes Indiz dafür: Altas’ Statements, die den oft beteuerten Wandel auch intern vorantreiben könnten, sind weder auf den Social-Media-Kanälen noch im Camia-Magazin der IGMG zu finden. Die IF berichtete zwar auf Facebook über die Wiener Veranstaltung, allerdings ohne die an sich positive Distanzierung von Hamas und Antisemitismus zu erwähnen. Schon vor dem Event hatte ein IF-Vertreter gegenüber dem VOLKSBLATT massiven internen Widerstand gegen Reformen und den Dialog mit Kritikern eingeräumt.

Dazu passen vier Wochen danach kursierende Gerüchte über eine Absetzung Altas’. Insider berichten, Altas habe sich nach Protesten bei einer Versammlung der Regionalvorsitzenden für seine Äußerungen entschuldigen müssen. „Da tut einem der Bekir ja fast schon leid“, twittert etwa Rusen Timur Aksak, früherer Sprecher der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), „er soll der IGMG ein modernes Gesicht verleihen, aber selbst beim zartesten Versuch wird er intern abgeschossen. So wird das nix, liebe Erbakancis…“

Altas dementiert Ablöse

Dass Altas am Samstag bei einer IGMG-Sitzung in Köln den Hut nehmen muss, wird dementiert. Der gerade im Libanon weilende Generalsekretär ließ dem VOLKSBLATT mitteilen, die Gerüchte über seine Ablöse träfen nicht zu. Laut IF-Chef Abdi Tasdögen würden am Samstag weder in Köln noch sonstwo IGMG-Gremien tagen.

Allein das Totschweigen der Altas-Aussagen im IGMG-Reich, aus dem auch IGGÖ-Präsident Ümit Vural kommt, nährt Zweifel an der Reformfähigkeit der in Bayern als „verfassungsfeindlich“ eingestuften Organisation. Ex-IGGÖ-Sprecher Aksak: „Milli Görüs bleibt weiterhin Anachronismus ohne Bezug zu Moderne & Säkularismus.“

Von Manfred Maurer

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