Donna Leon: „Wir sind sehr unfreundlich zur Erde“

Donna Leon über ihr liebstes Element, ihre Art zu schreiben und, dass sie nie in die USA zurückgehen wird

Bestsellerautorin Donna Leon © Andreas Röbl

„Holt mir doch die Ente, die da drüben herummarschiert. Wenn ich die auf den Arm nehme, gibt das bestimmt ein tolles Foto!“

So entspannt, wie uns Weltstar Donna Leon bei ihrem Besuch auf Schloss Bernau in Fischlham begegnet, wird das gesamte Gespräch, das sie dem VOLKSBLATT exklusiv gewährt.

Zu Gast war sie am Wochenende beim Festival Ars Concordia, wo sie gemeinsam mit dem italienischen Ensemble Il pomo d´oro auftrat und aus ihren Werken las.

VOLKSBLATT: Welchen Stellenwert hat Alte Musik in Ihrem Leben?

DONNA LEON: Ich mochte Sie immer, das war stets mein bevorzugtes Genre von dem, was man als klassische Musik bezeichnet. Als ich mit meinem Studium fertig war, in den 1970ern, -80ern, wurde es eine wichtige musikalische Bewegung: Ich hörte es und mochte es. Ich bin keine Musikerin, kann nicht Notenlesen, aber ich finde diese spezielle Art von Musik besonders reizvoll.

Sie haben am Sonntag aus Ihren Texten gelesen. War es schwer, die passenden für den Anlass zu finden?

Nein, Petra (Samhaber-Eckhardt, Anm.) erzählte mir, dass das Programm die vier Elemente thematisiert, und sie fragte mich — weil meine Bücher ja in Venedig spielen —, ob ich das Element Wasser übernehmen würde.

Ist Wasser auch Ihr Lieblingselement?

Vielleicht die Erde, weil sie alles ist, was wir haben. Ich bin eine passionierte Ökologin und es scheint, dass wir sehr unfreundlich sind zur Luft, zur Erde, zum Wasser.

Wie kam Ihre Freundschaft mit der Festival-Intendantin zustande?

Petra Samhaber spielte einige Male mit Il pomo d´oro. Wir unterhielten uns und wurden Freunde. Ich bin mit vielen Musikern und Sängern befreundet. Sie hatte diese Idee für ein Festival und fragte mich, ob ich und das Ensemble kommen könnten und spielen und lesen und ich sagte: Sicher! Ich freue mich, neue Orte kennenzulernen und ein neues Programm zu zeigen. Und da sind wir!

Wie sind Sie durch die Corona-Zeit gekommen?

Ich war nicht besonders betroffen, weil ich keinen Job habe. Ich musste nirgends hin und lebe an einem wunderschönen Ort in den Schweizer Bergen. Dort gab es keine Einschränkungen, deshalb war ich sehr glücklich. Corona hatte keine Auswirkungen auf mich, und ich habe es auch nicht bekommen. Ich musste mein Leben nicht auf den Kopf stellen wie viele andere Menschen. Nach Venedig konnte ich nicht, weil man ja nicht reisen durfte.

Also haben Sie die Stadt gar nicht ohne Touristen erlebt?

Giulio d´Alessio, der künstlerische Leiter von Il pomo d´oro, lebt in Venedig und hat mir jeden Tag Bilder geschickt mit den leeren Straßen und der leeren Lagune. Das war sehr, sehr schön.

Auch im 31. Fall von Commissario Brunetti, „Milde Gaben“, der am 25. Mai erscheint, ist die Pandemie Thema …

Die Pandemie ist nicht das Thema. Ich will und habe kein Buch über die Pandemie geschrieben, weil wir alle schon genug davon gehört und genug darüber nachgedacht haben. Ich habe versucht, zu zeigen, wie wir alle von dem Virus beeinflusst werden. Als ich von der Schweiz nach Österreich fuhr, habe ich mich wieder an die Maske erinnert.

Brunettis 31. Fall ist kein Mordfall, es geht um Betrug. Was gab den Anstoß dazu?

Das entscheide nicht ich. Ich habe eine Freundin, die Mystery-Thriller schreibt und Kapitel um Kapitel abarbeitet. Wenn ich ein Buch beginne, habe ich nie eine Ahnung, was passiert. Ich schalte einfach den Computer ein. Ich weiß nicht wie, aber es passiert einfach.

Sie kommen in einen Schreibfluss?

Ja, ich plane nicht, ich Glückspilz. Aber ich denke, dass man Leute, die Romane schreiben, in zwei Gruppen teilen kann: Die, die einen Plan haben und die, die keinen haben. Ich hatte nie einen. Ich bin auch keine sehr ordentliche Person.

Auch das Älterwerden ist im Buch ein Thema. Etwas, das Sie auch beschäftigt?

Ich werde dieses Jahr 80 und habe keine Vorstellung, was das bedeutet. Ich laufe immer noch herum, habe immer noch viel Energie, bin gesund und mein Gehirn funktioniert — hoffentlich. Das Alter ist nichts, worüber ich nachdenke. Wenn Leute darüber nachdenken, alt zu sein, ist das meistens keine glückliche Sache, aber das muss es nicht sein – so lange man gesund ist. Ich weiß nicht, ob man weise wird, aber man wird vorsichtiger — vorsichtiger, was man sagt, zu wem man es sagt, was man glaubt. Ich bin im Zeitalter der Fake News alt geworden. Als ich so alt war wie Sie, gab es das nicht: Es gab die „New York Times“, die „Times“ und den „Corriere della Sera“ oder renommierte Magazine wie „The New Yorker“. Dort wird ein Faktencheck gemacht. Sonst kannst du heute nichts mehr glauben.

Wie gehen Sie damit um?

Ich lese die „New York Times“! Ich habe kein Handy und werde niemals eines haben. Ich habe einen Computer und ich habe Google und verlasse mich nur auf Fakten, die ausgewählte Quellen liefern. Und ich habe Freunde, die Ärzte, Anwälte oder Anthropologen sind, die ich frage. Ich schaue nicht auf Facebook oder Twitter, man kennt die Leute dort nicht, sie geben sich als professionelle Schreiber aus und man soll ihnen vertrauen? Wie dumm Leute sein können.

Denken Sie, die Gesellschaft wird einen Weg aus diesem Dilemma finden?

Nein, dafür ist es schon zu spät. Ich bin in dieser Hinsicht Pessimistin. Ich bin nicht pessimistisch in Bezug auf mein Leben, ich habe ein schönes Leben. Aber kann man denen, die heute Wahlen gewinnen, vertrauen und ihnen glauben? Ich bin sehr konservativ in meinem Denken: Ich mag Dinge, die Sinn ergeben, ich mag es, wenn Dinge rational sind und wahr. Aber manche Leute, die in verschiedenen Ländern heute an der Macht sind — ich nenne keine Namen, aber da gibt es eine lange Liste —, sind wirklich Monster.

Könnten Sie sich vorstellen, jemals in die USA zurückzugehen?

115.000 Menschen sind im vergangenen Jahr in den USA an einer Überdosis Drogen gestorben. Abtreibung wird dort wieder illegal. In Nicaragua wird eine Frau, die eine Fehlgeburt hatte, 30 Jahre lang eingesperrt. In einigen Staaten wurden Gesetze vorgeschlagen, dass Frauen, die eine Abtreibung hatten, als Mörderinnen verurteilt werden können und den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen müssen. Würden Sie dort leben wollen?

Haben Sie je daran gedacht, ein politischeres Buch zu schreiben?

Nein, weil ich mir nicht sicher bin, dass ich mit meiner politischen Meinung recht habe. Und das ist nicht mein Job. Und warum sollten Leute mir glauben? Wirklich, sagen Sie mir den Unterschied: Ich bin nur nicht auf Facebook. Ich will niemals jemanden in irgendeiner Hinsicht beeinflussen.

Jedes Jahr ein Krimi, wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Es gibt nichts in meinem Leben, das ordentlich ist. In meinem Bücherregal gibt es keine Ordnung, aber ich weiß, wo ich alles finde. So sind auch meine Bücher: Es gibt eine Ordnung für mich, aber für niemand anderen.

Warum glauben Sie, ist Unterhaltung, sind Krimis so populär heutzutage? Brauchen wir einen Weg hinaus aus unserer Welt?

Vielleicht. Üblicherweise werden in Kriminalromanen die Bösen identifiziert, eingesperrt und bestraft. Das ist es, was die Leute wollen. Ich denke, Krimis bieten ein Modell, wie die Gesellschaft sein sollte. Und das mögen die Menschen auch. Kinder mögen es, dass es Leute gibt, die in den Himmel kommen, und Leute, die in die Hölle kommen. Es fühlt sich richtig an.

Fühlt es sich für Sie gut an, die Bösen ins Gefängnis zu schicken?

Ja, weil die Bücher in der Welt von heute angesiedelt sind. Und in der echten Welt kommen böse Buben selten ins Gefängnis.

Sie sind viel gereist, haben an verschiedenen Orten gelebt. Was ist es, das Sie an Venedig so fasziniert?

Venedig war in der Vergangenheit einzigartig. Alles dort war wunderschön. Es gibt sehr wenige Orte in der Größe, wo das so ist. Aber das ist heute nicht mehr so, vieles in Venedig ist hässlich: Die Geschäfte sind hässlich, die Schaufenster, die Leute auf den Straßen sind schlecht angezogen, es sind zu viele und die Kultur, die sich entwickelt hat, um deren Wünsche zu befriedigen, ist ebenfalls hässlich. Es ist hässlich, die Leute auf der Straße mit Pizzastücken in der Hand zu sehen. Man isst im Restaurant und zwar mit Messer und Gabel.

Die Liebe zu Venedig ist also verflogen?

Nein, ich liebe es immer noch, und bin immer noch einmal im Monat für eine Woche dort. Glücklicherweise komme ich bei Freunden unter, die ein Castello am Ende der Insel haben.

Haben Sie jemals daran gedacht, einen völlig neuen Charakter in Ihren Büchern zu erschaffen?

Ich würde das sehr gerne tun, habe aber keine Zeit dafür, weil ich mit den Dingen, die ich machen möchte, beschäftigt bin und viele davon betreffen Il pomo d´oro. Ich bin mit dem Orchester hier, im Mai und Juni gehen wir u.a. noch nach Halle, Dresden und Paris.

Ist Commissario Brunetti in all den Jahren so etwas wie ein Freund für Sie geworden oder ist er eher Ihr Alter Ego?

Weder noch. Er ist ein fiktionaler Charakter, über den ich schreibe. Ich denke nicht über meine Beziehung zu ihm nach, wenn ich nicht schreibe. Ich glaube, das trifft für viele Schriftsteller zu: Agatha Christie dachte bestimmt auch nicht über Hercule Poirot nach, wenn sie mit ihren Freundinnen beim Tee zusammengesessen ist.

Spiegelt sich etwas von Ihnen in Brunetti wider?

Er liest viel, die Klassiker, und er ist eine verhältnismäßig glückliche Person. Wenn man liest, ist es so, als würde man dieselbe Religion mögen. Man weiß, dass die betreffende Person etwas schätzt und an etwas glaubt, das man auch selber so sieht. Ich empfinde stets Wohlwollen gegenüber Personen, die viel lesen, weil es immer weniger und weniger gibt, die das tun. Ich sehe es in Zügen, niemand liest mehr, alle starren auf ihre Handys. Ich würde verrückt werden, wenn ich nicht mehr lesen könnte. Man öffnet ein Buch in einem überfüllten Zug und ist in Madagaskar oder Kanada …

Mit DONNA LEON sprachen Mariella Moshammer und Melanie Wagenhofer

 

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